Zuhören

SonntagsBlog „Zuhören“, 2. April 2023

Dem tibetischen Lama Sogyal Rinpoche wird ein Spruch zugewiesen, in dem es um das Zuhören geht. „Zuhören ist sehr viel schwieriger als gemeinhin angenommen wird; wirkliches Zuhören, wie die Meister es verstehen, bedeutet, uns selbst völlig loszulassen, alle Informationen, Konzepte, Vorstellungen und Vorurteile fallenzulassen, mit denen unsere Köpfe so vollgestopft sind.“

Die Buntheit des tibetischen Buddhismus, auch in unserer kleinen Küche.

Wir hören draußen den Regen. Wir hören bei Klangabend die Töne der Musik. Wir hören jetzt im Frühling das Vogelgezwitscher. Wir hören Kindergeschrei. Wir hören das Telefon klingeln. Vieles hören wir, aber haben wir uns auch einmal gefragt, was unsere eigenen Töne sind?

Töne da draußen und wo sind sie drinnen?

Ich hatte in den letzten Wochen viele Einführungen in die Zazen-Meditation. Dabei fiel mir auf, dass ich gerne vom Vokabeln lernen erzähle. Unsere eigenen Töne im Körper hören zu lernen, ist eine neue Vokabel lernen. Auch unser Geist hat Töne. Sie kommen uns vielfältig in Wörtern, Sätzen, Lauten entgegen. Manchmal meinen wir sie zu kennen, doch immer wieder begegnen uns Laute, die so in ihrer Zusammensetzung für uns neu sind. Wieder eine neue Vokabel. Und so ist Zazen das Erlernen einer Fremdsprache. Einer Fremdsprache, die bemerkenswerter Weise eigentlich die Sprache sein sollte, die uns am Bekanntesten ist, denn es ist ja unsere Eigenste.

Mein Begleiter als ich in Italien lebte.

Unser Körper besteht aus unzählbar vielen Zellen und Atomen, die in Bewegung sind. Wir erzeugen eine Vielzahl von unhörbaren Tönen für unsere „normale“ Welt. In unserer Zazen-Praxis, wenn alles still ist und die Bewegungslosigkeit Freiraum schafft für die Bewegung in unserem Körper und Geist können wir lernen diese Töne, Stimmen und stille Sprache zu hören. Wir stellen sowie Sogyal Rinpoche es sagt, alles, was wir zu kennen glauben ein, wir vergessen einfach alles, beginnen ganz von vorne. Hören geduldig zu, was uns der Körper, Geist und Seele erzählen möchte. Wir lernen neue Vokabeln von uns kennen. Manchmal sind dies nicht so schöne Vokabeln, aber auch diese gehören zum Erlernen einer Fremdsprache dazu. Wenn ich nicht weiß, was „Mist“ heißt, wie er aussieht, wie kann ich ihn dann bemerken?

Beim Umbau unserer alten Dame in unserem heutigen Gästebadezimmer. Der Zugang zum Abwasserkanal.

Bemerken ist das Wahrzeichen von Zazen. Nur wenn wir uns entleeren, entsteht das Sehen und Hören von „Neuem“, „Anderem“, „Unbekannten“. Ein Unbekanntes, das uns zwar schon seit ewigen Zeiten begleitet, jedoch von uns un-bemerkt seine Wirkungen tut.

Sehen wir den „Mist“ nicht, hören wir dem „Mist“ nicht zu, wie sollten wir dann erfahren können, wie es zu der „Mist“-Wirkung gekommen ist?

Zuhören ohne alles, Zuhören mit dem Fallenlassen des Eigenen Wollens, Zuhören einem Unbekannten ist sicherlich das Ungewohnteste, was wir Menschen tun können. Wer schon einmal in einem fremden Land einer fremden Sprache gelauscht hat, weiß, welche Gefühle in uns Menschen entstehen. Jetzt übertragen wir dies einmal auf unser eigenes fremd gewordenes Inneres? Seht Ihr es? Hört Ihr es? Schmeckt Ihr es? Riecht Ihr es? Fühlt Ihr es? Denkt Ihr es?

Das ist die Kunst des Zazen, denn sie schafft den Raum genau für derartige Erfahrungen. Wir sitzen still und lauschen den eigensten Tönen. Nichts ist mehr zwischen uns. Da ist nur noch dieser Körper-Geist-Seele-Raum, ganz all-ein mit uns selbst.

Unser eigenster Raum!

In dieser anhaltenden Stille eröffnet sich eine leise Vokabel nach der Anderen und am Ende der Stille hört sich die Vokabel plötzlich bekannt an und das Wunder ist dann, dass genau diese Vokabel den nächsten neuen Raum öffnet. Jetzt können wir weitergehen und unser nächstes Feld mit neuen Vokabeln entdecken. Auf diese Weise entsteht unser eigener wunderbarer Vokabel-Klang-Teppich, von uns selbst gewoben, wie einmal Engel Roshi während eines Sesshin sagte.

Sesshin steht für den Geist in Ordnung bringen. Gehen wir von der Nicht-Getrenntheit von Körper und Geist aus, so steht dies auch für den Körper in Ordnung bringen. Doch dazu mehr im Sesshin.

Ich freue mich auf Euch.

Eine gute Zeit uns allen.

Ellen Daoren

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