Sonntag-Blog „Forscher und Entdecker des Universums“, 7. April 2024
Liebe ZenhoflerInnen,
unser Oster-Sesshin ist nun eine Woche vorbei. Die Wirkungen in uns noch spürbar. Die Geschenke und das Leid. Die Freude und die Tränen. Das Sichtbare und das Unsichtbare. Die Gefühle und Gedanken von…
Gibt man in einer Recherche „Entdeckung des Nordpols“ ein, dann erhält man eine Geschichte, die erzählt, wie viele Menschen sich als Entdecker auf die Suche machten, auf unterschiedlichster Art und Weise (eben individuell). Doch eines einte sie, das Ziel. Der Nordpol.
Welches Ziel vereint uns im Zenhof?
Ist da überhaupt ein Ziel? Klar, da ist ja eine Satzung. Da ist ein Ziel formuliert. Ohne dem keine anerkannte Gemeinnützigkeit. Da ist es bereits dieses seltsame Ding. Ein Ziel als ein erstrebenswerter Punkt. Auf eine Absicht sich ausrichten. Ein Mit-sich-ringen. Ein Sich-Bemühen. Um was?
Die echten EntdeckerInnen
Allen Entdeckern ist eines gemeinsam. Sie bemühen sich. Sie ringen mit sich und den Umständen und Gegebenheiten. Vor einiger Zeit schrieb ich über den Entdecker und Eroberer Magellan.
Was mich damals besonders aufmerken ließ, war die unbedingte Absicht die gesuchten Inseln von der anderen Seite her zu entdecken. Er ließ nicht locker, bis er die Nelken-Insel gefunden hatte über den Weg des Atlantik zum Pazifik.
Von der anderen Seite her
Wenn wir ein Sesshin sitzen, ist dies genauso. Wir bemühen uns die andere Passage in unserem Leben zu entdecken. Die, die auch noch möglich ist. Raus aus der Gewohnheit. Rein ins unbekannte Feld. Dabei kann eine Stimme brüllen: Lass das! Und eine andere Stimme sagt freundlich: So! Und wieder eine Andere schweigt und sagt damit mehr als alles andere.
Die Ausrichtung auf eine Absicht ist kein Dogma
Ein Dogma ist eine Anhaftung, die lautet: So ist es und anders geht es nicht. Zazen ist von daher gar nicht möglich ein Dogma zu sein! Eher einer der wenigen Räume, der so frei ist, dass alles möglich sein darf, denn auf diesem Kissen sitzt ja nur Einer und das sind stets wir selbst. Und genau da wird es plötzlich eng in der Brust, wenn da keiner mehr ist, wo wir sagen können: Du bist schuld. Das warst du. Plötzlich steigt da so eine Angst auf, denn das, was da aufsteht vor uns, das soll ich selbst sein. Nein, niemals. Plötzlich wehrt sich alles in uns gegen eine derartige Form von Aufrichtung und Absicht, denn meine Absicht ist, dass ich gut, liebevoll, ehrlich, echt und freundschaftlich bin. Und warum sollte ich mir angucken, dass da noch etwas Anderes in mir aufleuchtet, das mich erschauern lässt?
Vor kurzem hatten wir eine Zeit, da war das Wort „Leugner“ in aller Munde. Übertragen wir dieses Wort auf andere Leugnungen, so gelangen wir in die große Geschichte. Doch wenn wir in die kleinste Geschichte von Leugnungen gehen, dann landen wir bei uns selbst. Was leugnet ein jeder von sich selbst?
Das, was große Menschen wie ein Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Mutter Theresa oder die heilige Elisabeth von Thüringen vereinte, war die Entdeckung ihrer eigenen Innerlichkeit, die sie auf den einen Weg brachten. Den Weg, der nichts von sich selbst fernhielt. Der Weg, der immer wieder aufrecht, gerade und ehrlich zu sich selbst führte und dafür nahmen sie viele Qualen auf sich. Mutter Theresa: „Dunkelheit umgibt mich auf allen Seiten. Meine Seele leidet. Vielleicht gibt es gar keinen Gott. Ich spüre eine unendliche Sehnsucht, an ihn zu glauben. Aber wenn es keinen Gott gibt – Himmel, was für eine Leere!“
Zazen ist ein solcher Weg!
Zazen ist ein solcher Weg. Doch, ob wir einen wirklichen echten Weg gehen, entscheiden wir durch unser Tun. Bleiben wir auf dem Weg oder wechseln wir ihn wie das T-shirt? Bleiben wir aufrecht mit der Absicht das Erforschen und Entdecken des eigensten Selbst nicht aufzugeben? Bleiben wir ehrlich in unserer Bemühung, uns nicht selbst zu belügen oder Eigenschaften von uns zu leugnen? Menschliche Eigenschaften sind so zahlreich wie die Sterne. Welche Eigenschaft wollen wir uns nicht anschauen? Welche lehnen wir ab? So wollen wir nicht sein? Kein Mörder. Kein Räuber. Kein Scharlatan. Kein Dieb. Kein…
Die Gefangenschaft
Doch schauen wir uns ehrlich über die Schulter, was sehen wir da? Wir sind wie alle Menschen auch dieses. Ob diese Eigenschaften, eine ist oder sein wird, die wir leben, hängt von unserer Entscheidung ab. Doch entscheiden können wir nur über etwas, was für uns sichtbar und greifbar geworden ist. Solang wir blind umhertappen, nichts sehen, nichts Greifbares finden, solange können wir uns nicht entscheiden und eh wir uns versehen, sind wir so wie ein Magellan in einer Sackgasse gelandet. Jetzt kostet es uns viel Mühe da wieder heraus zu rudern und wieder zurück aufs offene Meer zu gelangen. Dabei verlieren wir oft die Absicht, die Ausrichtung aus dem Blickfeld, verlieren uns in die umgebenden Bilder, Meinungen, Richtungen, verstricken uns und schon sind wir nicht mehr wir selbst, sondern Gefangene.
Freiheit entsteht nicht im Außen. Freiheit entsteht im Geist. Liebe entsteht nicht im Außen. Liebe entsteht in jedem von uns selbst. Gerechtigkeit entsteht nicht im Außen. Gerechtigkeit entsteht in uns selbst. Es ist die Akzeptanz, dass auch ich ab und zu ein Mörder sein muss, denn es gibt die Momente im Leben, wo wir das Schwert ziehen müssen. Die Konsequenzen tragen wir bis zum Ende und dennoch muss es geschehen.
Es gibt dort draußen nichts, was nicht hier im Inneren geboren wurde. Die Welt um uns herum, ist die Welt, die wir im Inneren lebendig auferstehen lassen. Blumen blühen um das Haus, wenn wir die Blüten in uns zu lassen. Bäume wachsen um uns, wenn wir sie anpflanzen, hegen und pflegen. Weshalb in „Gottes Namen“ pflegen wir uns selbst nicht auch so? Mit dem Kompost, mit dem Müll, mit der Blüte, mit dem Sterben, mit dem Geboren werden in uns selbst, denn wir sind die Gestalter der Ganzheit.
GestalterInnen der Ganzheit
Welche Ganzheit erstreben wir? Eine Ganzheit, die nur einen winzigen Teil ausschließt, ist nicht mehr ganz. Ein Geist, der eine Eigenschaft von sich ablehnt, ist nicht ganz.
Eine Absicht der Zazen-Praxis ist jedoch genau das: Das Ganz-Sein. Schließen wir unseren eigenen Müll von der Ganzheit aus, beginnt die Frage: Was schließen wir noch aus, was scheinbar nicht dazu gehört? Und schon sind wir mitten in unserer heutigen politischen Lage.
Ich für meinen Teil als Zen-Lehrerin Ellen Daoren und als die Philosophin Dr. Ellen Kremer-Wilmes entdecke immer wieder neu diese Ganzheit, deren Unendlichkeit sprachlos macht und so sind wir wieder beim Zazen angekommen. Ich danke meinem Leben für dieses Heimat finden hier auf diesem Kissen. Der einzige Ort auf der Welt, wo ich wirklich ganz bin und sein darf.
Das Merk-Würdige
Das Einzige, was mich derzeit immer mehr verwundert, ist, dass das Benutzen und Gebrauchen von Menschen, Dingen, Erde und Kosmos als eine Freiheit angesehen wird, ohne dass es irgendjemandem auffällt, dass das Benutzen und Gebrauchen die Ganzheit verwehrt. Unter den Menschen heißt die Ganzheit WIR. In der Umwelt heißt die Ganzheit „Leben mit Tieren und Pflanzen“. In der Geologie heißt Ganzheit nicht verschandeln von Landschaften. In der Politik heißt Ganzheit Wege für alle Völker gehen, auch den Massais. Die Liste lässt sich erweitern.
In diesem Sinne, wenn ich einen Wunsch äußern darf, dann ist es der, dass die Ganzheit ohne Ausschluss einen Weg in die Herzen der Menschen findet. Und dieser Weg beginnt genau hier, genau hier bei jedem einzelnen Herzen selbst – ohne Ausnahme und ohne Ausschluss.
Und so freue ich mich auf jeden von Euch, der ohne Ausnahme in der Absicht der anhaltenden Übung an sich selbst mit dem „mächtigsten Werkzeug“ = Zazen, wie es jetzt eine TeilnehmerIn des Sesshin benannte, fortfährt. Für sich selbst und für alle. Das ist anhaltender Frieden!
Gassho und von ganzem Herzen
Ellen Daoren