SonntagsBlog „Vom Abschied nehmen“, 17. April 2024
Liebe ZenhoflerInnen,
der SonntagsBlog ist diesmal ein MittwochsBlog, denn auf meiner Wanderung heute in der fränkischen Schweiz kam mir das „Abschied nehmen“ in den Geist, der wieder unterwegs ist mit dem Herz-Sūtra.
Vor vielen Jahren schrieb ich ein kleines Gedicht über das Abschied-Nehmen. Dieses Abschied-Nehmen, berührt mich immer wieder.
Viele kleine Abschiede
Die vielen kleinen tausend Abschiede, wenn der Blick sich löst, wenn die Lippen sich nach dem Kuss entbinden, wenn die Ohren nicht mehr dem Herzschlag, dem Atem lauschen,
wenn die Hände von einander gleiten, wenn das Haar nicht mehr über die Wange streichelt, wenn das Glied die Scheide verlässt,
wenn sich die Hand vom Rücken, vom Bauch, von Haut trennt, wenn die Füße den gemeinsamen Kontakt verlieren, wenn die Körper sich wieder vereinzeln, entstehen die vielen täglichen wiederkehrenden tausender kleiner Abschiede mit dem Zauber des Neubeginns.
Während das Herz-Sūtra durch meinen Geist wandert und meine Füße den Waldboden berühren und wandernd sich vorwärtsbewegen, steht der Satz dort: In den drei Welten leben…
Die drei Welten
Diese drei Welten ließen mich stocken. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Ist das so? Was sind drei Welten? Da steht ein Grashalm vor mir. Wie sieht seine Vergangenheit, seine Gegenwart, seine Zukunft aus?
Wo ist da das Abschied-Nehmen und von was? Bei uns Menschen wird der Abschied am deutlichsten, wenn ein Mensch stirbt oder eine Beziehung in die Brüche geht. Der Abschied ist gekommen. Es gibt kein Zurück mehr. Nichts ist mehr so wie es einmal war. Ist das für den Grashalm auch so, für den Baum, die Katze, das Wildschwein, den Säugling, dem alten Menschen, dem Jugendlichen, dem Stein und dem Bach? Wo liegen ihre Welten? Wo liegen ihre Abschiede?
Mein Fuß hebt und senkt sich auf dem Waldboden. Gerade noch war er genau dort und jetzt ist er schon hier. Ist der Fußabdruck jetzt Vergangenheit und war dieser kleine Augenblick Gegenwart überhaupt und was ist die Zukunft? Ist das wirklich der nächste Fußabdruck?
In der Meditation sitze ich und frage den Atem: Wie sehen deine drei Welten aus? Wie sieht dein Abschied-Nehmen aus, denn du bist ja Meister darin, denn der eine Atemzug verfliegt und ist dahin. Tröstest du dich mit dem Nächsten? Gibt es überhaupt so etwas wie die drei Zeiten für dich, du Atemzug? Wenn ja, was ist dann deine Zukunft? Ich sehe sie nicht, denn jeder Atemzug ist anders, d.h. dieser Atemzug kehrt nicht wieder zurück. Er ist in der Vergangenheit entschwunden. Seine Gegenwart war so kurz, dass ich es kaum mitbekomme. Doch, wo ist seine Zukunft? Gibt es überhaupt die Zukunft des Atems? Es gibt den berühmten Spruch: Dann musst du einen langen Atem haben. Ist das die Zukunft des Atems?
Was hat das Abschied-Nehmen mit der Zukunft zu tun?
Sind das nicht zwei völlig verschieden Dinge? Heute im Wald war ganz klar, dass beides zusammengehört. Mitten in diesem Abschied-Nehmen leuchtet etwas, ist etwas, dass ich nicht benennen kann. Ob wir das Zukunft nennen, ist eines, aber wie können wir, das, was da ganz winzig und klein auftaucht, in Freude sehen und annehmen lernen? Wir wissen nicht, was die Zukunft uns bringt. Wir wissen nicht, was Freude im Abschied-Nehmen heißt, denn der Schmerz überwältigt uns und es scheint kein Raum mehr für ein Sehen dieses kleinen winzigen Leuchtens. Wir wissen nicht, was diese drei Welten für uns noch bereithalten?
Das Vereinen
Doch der Atemzug in der Meditation zeigt, wie dieses permanente Abschied-Nehmen, Ankommen und Erneuern fast gleichzeitig von statten geht. Der Atemzug vereint diese Faktoren zu einem Ganzen. Der Atemzug bringt sich in Übereinstimmung mit sich selbst und dabei löst sich einerseits Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf und andererseits ist jede Zeit gleichzeitig genau hier. Alle Welten sind gerade genau hier. Der Schmerz und die Wunde des Abschied-Nehmens, das gegenwärtige Tun des Atmens und das Zukünftige in Form des Willens weiter zu atmen.
Das „wieder zurück“
Und mitten in diesen drei Welten ist dieses winzig kleine Leuchten. Es ist das „wieder zurück“. Kein „wieder zurück“ zu alten Mustern, Verhaltensgewohnheiten oder oder oder. Nein, es ist ein „wieder zurück“, zur Aufrichtung, zum nächsten Fußschritt, zur nächsten Handlung, zum nächsten Tun, zum nächsten Wollen.
Die Quelle
Es ist ein „wieder zurück“, das in der Quelle mündet, die das Abschied-Nehmen, das Ankommen, das Erneuern, das Leuchten, die drei Welten gebiert. Diese Quelle ist nicht Teil von uns, sondern wir sind die Quelle. Jetzt und Hier.
Niemand leuchtet, wenn nicht wir es tun. Niemand geht zur Quelle, geht den Weg, wenn nicht wir es tun. Niemand liebt die Quelle, wenn nicht wir es tun. Niemand erfährt den Schmerz des Abschied-Nehmens, wenn nicht wir es tun. Die Quelle sind wir. Wir sind die, die vereinen und trennen. Wir sind die, die gemeinsam auf eine Vergangenheit schauen, in einer Gegenwart gemeinsam etwas tun und in eine Zukunft eine Vision, eine Erscheinung setzen können. Auch ein Verein tut dies. Daher heißt es Verein. Sich zu einem Ganzen zusammenschließen und gemeinsam gehen in einem Zustand des Vereint-Seins. Leiden nicht so viele Menschen heute unter der Einsamkeit.
Der Zenhof Rödental e.V.
Der Zenhof Rödental e.V. wurde im Dezember 2019 gegründet. Sieben Menschen fanden sich zusammen, hatten die Idee des gemeinsamen Tuns, die Idee sich zu einem Ganzen zu vereinen. Heute fast fünf Jahre danach gab es den Schmerz durch das Abschied-Nehmen von Mitgliedern, gab es Erneuerung durch Menschen, die neu zum Verein hinzukamen und es gab eine Zukunft in Form von Weiter-Üben, Weiter-Tun und gemeinsam zur Quelle „wieder zurück“ zu finden.
Heute im Wald fragte ich mich: Wie sieht die Vision des Vereins in der Zukunft aus? Gibt es eine Vision der Zukunft? Wer lebt und trägt sie, wenn ich einmal nicht mehr bin? Ist da irgendjemand, der das Vereinen zur Quelle so liebt wie ich es tue? Ja, ich liebe es. In einem meiner Tagebücher von 2013 las ich jetzt. „Die Liebe lehrte mich den dornigen Pfad zu gehen und bei jedem blutgetränkten Tritt dennoch erneut die Liebe zu erfahren.“ Ist das eine Vision?
Die Vision von einem „wieder zurück“ zur Quelle unseres eigensten Selbst? Auch wenn es mit schmerzhaften Abschied-Nehmen von selbstgefälligen Mustern gepaart ist? Auch wenn das Üben des „wieder zurück“ zur Aufrichtung eine Last, eine Belastung im Alltag scheint? Obwohl der zur Quelle Zurückgekehrte längst weiß, dass diese Last im Gegensatz zur Alltagslast immer mehr nachlässt und es federleicht wird? Auch wenn die Zukunft in einem großen Nicht-Wissen endet, das nicht planbar, regelbar und unsicher ist?
Und so frage ich Euch alle: Was ist unsere gemeinsame Vision des Ver-ein-s?
Von ganzem Herzen und mit herzlichem Gassho
Eure Ellen Daoren