SonntagsBlog „In lieber Erinnerung“, 4. Mai 2024
Liebe ZenhoflerInnen,
Der Mai begann mit Sonne und Wärme, um uns nun noch einmal in den April zurückzubegleiten. Doch das Grün und die bunten Farben erinnern uns daran, ja, jetzt ist Frühling. Der Sommer naht. Er kommt. Das ist gewiss.
Wenn ich meine Spaziergänge hier in Rödental mache, so beginnen die meisten Gänge mit einem Gang über den Friedhof von Rödental oder enden dort, denn er ist nun mal am Ende unserer Straße.
Es gibt einen Baum, der die Bezeichnung „In lieber Erinnerung“ trägt und auch auf manchen Grabsteinen findet sich dieser Spruch. Mich hat das nachdenklich gemacht. So nahm ich diesen Spruch mit in die Meditation.
Dabei fiel mir auf, dass wir „In lieber Erinnerung“ nachfühlen, wenn es um die Erinnerung an Menschen geht, aber wie sieht es mit Situationen, mit Dingen aus?
Ein Atemzug in lieber Erinnerung?
Und natürlich: Wie sieht die liebe Erinnerung an einen einzigen Atemzug aus? Wenn wir geboren werden, ist dies ein besonderer Atemzug, denn es ist unser Erster. Wenn wir sterben, ist dies ein besonderer Atemzug, denn es ist unser Letzter. Doch merkwürdigerweise haben wir genau an diese besonderen Atemzüge keinerlei Erinnerung. Beim Ersten ist unsere Bewusstheit im Sinne einer kognitiven Leistung noch nicht vorhanden. Beim Letzten gehen wir ein in die große Ewigkeit, die keine Zeit, keinen Raum, keine Begrenzung, daher auch keine Kognition kennt.
Also, was bleibt in lieber Erinnerung. Übersetzt wird Erinnerung mit der menschlichen Fähigkeit Vergangenes durch ein Gedächtnis in der Vorstellung wiederzubeleben. Untersuchungen haben bereits festgestellt, dass diese Vorstellungen eben Vorstellungen sind. Ob es jemals wirklich so war, wissen wir nicht, denn der Moment ist nicht mehr hier. Jetzt ist hier etwas Neues. Jeder, der bereits einen Menschen verloren hat, egal ob durch Tod oder Trennung weiß, dass jede Erinnerung eine Vorstellung bleibt und nichts, was einmal war, zurückgeholt werden kann.
Warum also dieses in lieber Erinnerung?
Für mich auf dem Kissen sitzend, fand sich eine erste Antwort im Atem selbst. Jeden Atemzug dankbar annehmend, scheint einfach, denn wir können ja nicht anders. Egal, wie der Atemzug daherkommt, wir nehmen ihn und er nimmt sich uns. Doch, was ist mit dem Ausatmen, wenn er gegangen ist, bleibt er in lieber Erinnerung in uns? Nicht einfach nur dankbar, sondern getragen von Liebe.
Vor einiger Zeit schrieb eine ZenhoflerIn im Kommentar auf einen SonntagsBlog, dass die Liebe alles sei. Die Wörter Liebe und Alles gehören, glaube ich zu den schwierigsten Wörtern in unserer Welt. Denn, was ist Liebe und Alles wirklich? Gibt es dafür einen Ausdruck, eine Form?
Ich denke, glaube und weiß durch meine 20-jährige Praxis, dass es einen Ausdruck für Liebe und Alles gibt und das ist das Atmen.
Atmen ist.
Es ist immer ganz. Es ist immer für uns da. Egal, ob wir seelisch emotional oder sportlich bewegt unterwegs sind. Der Atem passt sich dem an. Umgibt uns liebevoll und trägt uns hindurch. Jeder Atemzug hat so viele Facetten wie das Leben selbst. Das Atmen ist unser Freund, unsere Freundin. Es ist eine permanente liebe Erinnerung an das Erste und das Letzte. Das Atmen sind wir ganz und gar. Wo sollte eine Grenze sein?
In der Biologie haben wir von der Zellatmung gehört. Zellen bestehen aus Atomen. Atome atmen doch nicht, oder? Wenn wir bei der Sprache bleiben, kann atmen auch stehen für etwas zum Ausdruck bringen. In der altindischen Philosophie steht das ātmā́ für ‘Hauch, Seele, Selbst’. Ist ein Atom ein Selbst?
Alle, die jemals sportlich sich so bewegt haben, dass sie spürten, dass ihr Herz ihnen aus dem Leib zu springen, drohte oder eine tiefe emotionale Krise erlebten, wissen, dass Atome sich bewegen, einen Ausdruck haben und seit es die Quantenphysik gibt, wissen wir das Atome tatsächlich ein Selbst sind. Sie tun. Sie verhalten sich genauso wie wir tun und uns verhalten und zwar tatsächlich unabhängig.
Das Atmen ist also bis in die tiefsten Tiefen unseres Seins grenzenlos hier. Es ist eine lieb gewordene Erinnerung an das ewige Leben, denn selbst, wenn unser Ausdruck des Atems sich in das ewige Atmen hebt, geht das Atmen weiter. Es rührt sich stets. Es bewegt sich in jedem Ausdruck. Jeder Atemzug eine liebe Erinnerung an die ganze umfassende Welt, das Universum und des Kosmos.
Eine Haltung in der Meditation
Nehmt die liebe Erinnerung einmal mit in die Meditation. Spürt die liebe Erinnerung an das letzte Ausatmen, das letzte Einatmen. Bemerkt dieses liebevolle Dasein in dieser Ausdrucksform.
Das Atmen ist TrägerIn unserer ureigensten Gemeinschaft.
Einer Gemeinschaft von Atomen, Zellen, Organen, Knochen, Muskeln, Gedanken, eben der gesamten Gemeinschaft Körper und Geist. Und diese beatmete in lieber Erinnerung stets geborene Gemeinschaft handelt, denkt und lässt Situationen geschehen, so dass wir aufgeweckt werden.
Aufgeweckt werden uns zu erinnern: in Liebe an genau das!
Möge auch unsere Zenhofgemeinschaft, so wie jetzt bei Zen und Biodanza und jede Meditation in dem Raum, in dem das Getragen-Sein dazu gehört wie das All-ein-Sein sich stets in lieber Erinnerung begegnen.
Eine gute Zeit uns allen.
Gassho Ellen Daoren