Allzu Menschliches

Sonntags-Blog „Allzu Menschliches“, 9. Oktober 2022

Liebe ZenhoflerInnen,

Manfreds und meine Ferienzeit geht dem Ende entgegen. Wir haben hier auf Rhodos viele schöne Stunden gehabt und viel lernen und erfahren dürfen.

Am Kap

Dabei denken wir Menschen in erster Linie an historische Gebäude oder Geschichten, an Denkmäler, Schlösser, Burgen und andere Dinge, die wir uns als Touristen in einem fremden Land ansehen. Doch, diese Art der Landeserkundung habe ich vor vielen Jahren in Italien aufgegeben und Manfred wohl auch, so dass wir uns in den Dörfern unter die Leute mischten, den Strand in kleineren Buchten aufsuchten und eine kleine Taverne einem Restaurant vorzogen. Was geschieht hier?

Wenn wir Zazen praktizieren, schauen wir auch nicht nach dem Besonderen, sondern nach dem kleinen Einfachen, dem, was wir sonst gar nicht sehen. Das ist dann das Besondere, dass gar kein Besonderes ist, sondern einfach, das, was da gerade dran ist.

Eine unscheinbare Blume mit vielen kleinen Blüten mitten in der Trockenheit. Das Besondere, das gerade da ist und wenn es noch so klein ist!

So geschah uns gestern folgendes. In einem kleinen Dorf in den Bergen beschlossen wir einen Kaffee zu trinken. Das bedeutet in der Regel, Ellen bekommt einen doppelten Espresso und Manfred einen Americano. So bestellten wir in der Taverne „Wie bei Mama“ genau dieses bei einem älteren Mann. Nach einiger Zeit kam er wieder, stellte zwei große gleiche Tassen vor uns hin mit den Worten: Nescafe und Espresso. Wir waren verduzt und mussten dann herzhaft lachen.

Der Espresso und Americano!

Was passiert hier? Wir hatten eine stille heimliche Erwartung in uns gehabt. Die kleine Tasse für den Espresso und die große Tasse für den Americano. Jetzt standen zwei gleiche Tassen vor uns, die nach Geschmack beide Nescafe enthielten. Und wir lachten.

Oft lachen wir in solchen Situationen nicht. Unsere Erwartung wird nicht erfüllt. Wir fühlen uns plötzlich auf den Arm genommen und sind verärgert. Wir hatten eine andere Vorstellung, die nun so gar nicht erfüllt wird und wir ziehen uns zurück. In meiner Vergangenheit habe ich einmal einen sehr guten Freund verloren, der nicht verstand, wie ich in einer bestimmten Situation reagierte. Er hatte komplett etwas Anderes erwartet. Da er seinen festgesetzten Maßstab nicht lockern konnte, zog er sich zurück und selbst ein Gesprächsangebot lehnte er ab. Ich habe ihn nie wiedergesehen, dabei habe ich ihm sehr viel zu verdanken und er mir. Er half mir bei meiner Masterarbeit, weil er war ein guter Korrekturleser. Ich half ihm bei seinen Partnerschaftsproblemen, denn er war homosexuell. Es ist immer schade, wenn wir an diesen Stellen nicht lachen, denn in dem Moment, wo wir lachen, verändern wir uns und geben dieser Veränderung Raum.

In zwei Monaten beginnt bereits Dezember und damit unser erstes wirkliches Rohatsu-Sesshin, das weltweit zu Beginn des Dezembers gesessen wird, um an die Erleuchtungserfahrung von Buddha zu erinnern, fast so wie Ostern, wo wir der Auferstehung Jesu erinnern. Wir werden am Samstag-Abend, den 3. Dezember von 19-20 Uhr starten und dann volle sieben Tage bis Sonntag, den 10. Dezember abends um 20 Uhr Sesshin – alles sitzt – erleben.

Was tun wir da? Von außen betrachtet und wenn uns jemand fragt, antworten wir: Meditation, Oryoki-Mahlzeiten, Essenszubereitung, kleine Hausarbeiten, Aufräumen, Rezitieren, einem Vortrag zuhören, ein Vier-Augen-Gespräch führen, aber, was passiert wirklich?

Was passiert bei der zehnten, zwanzigsten, dreißigsten … Verbeugung am Tag? Welche Erwartungen fallen?

Uns passiert genau das, was Manfred und ich beim Kaffee trinken erfahren haben. Wir begegnen unseren eigenen Vorstellungen und Erwartungen und können sie tatsächlich einmal einfach fallen lassen und uns neu aufstellen und darüber lachen lernen, statt verärgert, gereizt oder sich vor den Kopf gestoßen zu fühlen. Dabei, was gibt es Besseres, als vor den Kopf gestoßen zu werden? Da sehen wir unsere eigenen Erwartungen, Vorstellungen, Ansichten, Maßstäbe direkt und bemerken, wie wir darauf reagieren. Welch ein Geschenk, wenn uns dies begegnet?

Doch wir Menschen sind eben allzu menschlich meistens. Wir ziehen uns dezent zurück, denn wir entscheiden über unser Leben und wie es laufen soll. Was bilden sich Menschen ein, die uns vor den Kopf stoßen? Und schon sind wir, ohne dass es uns bewusst ist, in unser Schneckenhaus zurückgekrochen und bilden es nicht weiter aus, sondern bewahren es so, wie es immer war.

Übrigens beschreibt das Joe Dispenza in „Du bist das Placebo“ sehr schön aus der epigenetischen Perspektive.

Unsere Perspektive ist Zazen. Es ist eine Technik, die auf Jahrtausende alten Traditionen zurückgreift – Historie -, die tagtäglich im Alltag in ihrer Erfahrens-und Erlebenswelt uns begegnet – Leute kennen lernen und ein Nescafe-Erlebnis erfahren -, die uns unsere eigene Emotionalität aufzeigt – Lachen oder….

Ich freue mich auf kommende Woche mit Euch allen wieder Zazen zu praktizieren, um unseren Erwartungshaltungen zu begegnen und darüber lachen zu lernen, wenn wir sie tatsächlich erschauen, bemerken, beobachten. Ein kleines Lächeln des Erkennens und Begreifens und unser Schneckenhaus wächst. DANKE.

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