„Allmählichkeitsschaden“

Sonntags-Blog „Allmählichkeitsschaden“, 22. Oktober 2023

Liebe ZenhoflerInnen,

der Herbst ist nun in Riesenschritten gekommen. Die Bäume sind nun bunt und die Blätter fallen. Der Sommer gewesen, der Winter vor der Tür. Immer irgendwie wie beim Zazen. Wir beobachten den Atem und sehen dennoch nicht den Punkt, wo das Ausatmen in die Pause geht. So sehen wir auch nicht, wann genau der Punkt ist, wo die Natur die Sommertür schließt und die Herbst-und Wintertür aufgeht.

In der Wochenzeitung die Zeit bin ich auf das Wort „Allmählichkeitsschaden“ gestoßen. Ein Soziologe bediente sich in seiner Beschreibung dieses Wortes, dass er, wie er selber sagte, der Versicherungswirtschaft entnommen habe.

Ihr kennt mich. Ich nehme es auseinander. Allmählich. Schaden. Und so steht ganz schnell dort, dass es wohl um etwas geht, was langsam aber sicher zu einem Schaden führt. Bei Versicherungen sind es Schäden am Haus zum Beispiel. Bei dem Soziologen sind es Schäden, die in der Gesellschaft sichtbar werden. Bei einer allmählichen Ernährung mit nicht so guten Lebensmitteln tritt vielleicht der Schaden einer Erkrankung auf. Allergien. Diabetes. Und…

Doch, was bedeutet Allmählichkeitsschaden in Bezug zu Zazen? Wir sitzen gemeinsam und ein jeder zählt seine Atemzüge und beobachtet seinen individuellen Geist. Wobei hier die Frage kurz erlaubt sein, sind es wirklich nur unsere Atemzüge und nur unser individueller Geist?

Wir lernen allmählich, ganz langsam, diesen Atem kennen. Wir lernen ihn sozusagen sehen auf dieser Leinwand. Wir lernen ebenfalls sehen, was unser Geist auf die Leinwand zaubert. Ach, der Kindergeburtstag, der Streit mit der Arbeitskollegin, die neue Regel im Haus usw.

Doch, wir lernen es sehen. Allmählich. Früher gab es das Wort „gemach“, das heißt, nach und nach kommt es, gelingt es, geht über in das Ganze. Schön Schritt für Schritt. Auf diese Weise lernen wir nicht nur sehen, sondern das bemerkende Sehen erlaubt es uns, nicht so schnell in irgendwelche Fallen zu tappen, die uns davon abhalten, uns selbst zu erfahren und zu erkennen, so dass wir eben keinen Schaden an uns und andere verursachen.

Oryoki ist das Beispiel par excellence. Jeder Schritt sichtbar, direkt vor unseren Augen, was wir tun.

Allmählich Schritt für Schritt üben wir, Schaden von uns fern zu halten, keinen Schaden entstehen zu lassen und sogar Schaden zu verringern. Ganz vermeiden können wir ihn leider nie. Das ist die vorteilhafte Seite des Allmählichkeitsschaden.

Die nachteilbehaftete Seite des Allmählichkeitsschaden ist, dass, wenn wir nicht sehen lernen, nicht bemerken lernen, dass allmählich, eben genauso wie umgekehrt, Schritt für Schritt ein Schaden entsteht, der nachher so groß sein kann, dass wir viel Zeit, Geduld, Ausdauer, Finanzen, Nachsichtigkeit und Beharrlichkeit brauchen, um den Schaden wieder auszubügeln.

Der nachteilbehaftete Allmählichkeitsschaden

Jetzt könnten wir sagen, dass das genauso anstrengend ist, wie die vorteilhafte Seite, denn die bedarf ja auch einer beharrlichen, konsequenten und anhaltenden ausdauernden Übung.

Doch bei genauerer Betrachtung wissen wir alle aus unserer eigenen Lebenserfahrung, dass dies leider nicht so ist. Ein Kind, das nicht lernt, das es wertvoll ist, braucht Jahre um es sich selbst erfahrbar zu machen, während es als Kind es in sich von ganz allein aufsaugt.

Von klein auf. Wertvoll.

Das bedeutet für unsere Zazen-Praxis, je mehr wir allmählich Schritt für Schritt in unser Beobachtungsfeld treten, uns unwissend umschauen und Neues entdecken, umso weniger Schaden entsteht in unserem Körper und Geist und somit bei den Menschen, die mit uns sind. Jeder Schritt wert-voll und reich.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen die vorteilhafte Seite des „Allmählichkeitsschaden“ gepaart mit dem Wissen um die nachteilbehaftete Seite, denn das ist Frieden in die Welt setzen.

Und welch wunderbares Mittel hat die Welt uns geschenkt. ZAZEN – einfach sitzen! Danke.

Einen schönen Sonntag uns allen.

Gassho Ellen Daoren

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