Freude im Sterben

Sonntags-Blog „Freude im Sterben sehen“, 20.02.2022

Wind bläst Birken - Lizenzfrei Wind Stock-Foto
Sturm ist auch Reinigung.

Im dichtesten Sturm ging ich mit Manfred in der Rosenau spazieren. Wir waren wirklich ganz allein dort. Umgestürzte Bäume und heruntergefallene Äste begegneten uns. Eine Itz mit tosendem braunem Wasser ergoß sich Richtung Coburg. Wir konnten uns lebhaft vorstellen, wie vor den 70-er Jahren es in Coburg zu Hochwasser kam.

Wir begegnetem einem zerstörten Baum, der auf dreiviertel Höhe wie ein Korkenzieher abgedreht war und zerschellend auf die Wiese fiel. Als ich ihn jetzt dort liegen sah, kam mir sofort in den Sinn: Im Sterben ist Freude.

Meist sehen wir im Sterben nur das Leid. Wir verlieren geliebte Menschen. Wir sehen zu wie sie um ihr Leben kämpfen und dennoch verlieren. Wir müssen uns verabschieden. Adieu sagen. Nicht nur bis gleich, bis morgen oder übermorgen, sondern für die Ewigkeit.

Doch, was ist Ewigkeit? Wenn wir Zazen praktizieren, kommt ein Atemzug, geht ein Atemzug. Der Nächste erscheint und geht wieder. Nehmen wir uns in der Praxis einmal vor, jeden Atemzug wirklich zu würdigen, ihn mit Freude in den Arm zu nehmen, ihn mit Freude bis zu seinem Ende zu begleiten, so häufen wir Freude in uns an, weil es ja so viele Atemzüge gibt.

Diese Freude im Sterben bemerken zu üben, ist ein Teil der Zazen-Praxis. Es ist tatsächlich die Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod. Atemzug für Atemzug gibt es nichts Anderes zu tun als dem Sterben zuzuschauen. Wie tut er es? Wie entsteht er? Was macht er? Wie trifft er uns?

Die Freude im Sterben sehen zu lernen, ist Freude am Leben zu gewinnen. Es ist eine eigene Schönheit in dieser Freude. Als meine Mutter im vorletzten Jahr starb, sah ich die Freude in ihrem Sterben in ihrem Gesicht. Es war mit das Schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Unbeschreiblich.

Wenn wir also Zazen sitzen, unseren Atemzügen lauschen, zuschauen, hinsehen, dann kann es sein, dass wir diese Freude und Schönheit antreffen. Wenn ihr dann darauf in der Reflektion zurückschaut und euch fragt: Was war das denn? Dann beginnt die große Reise zu eurem wirklichen Selbst. Und dieser eine Atemzug ist Ewigkeit.

Dies wünsche ich uns allen. Eine gute Reise zum wirklichen Selbst, dessen Ende eine Selbstlosigkeit bildet, die alles küsst.

Herzlich und mit tiefem Gassho

Ellen

Freude und Schönheit im Sterben. Blütenblatt für Blütenblatt.

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