Sonntags-Spaziergang

Sonntags-Blog „Sonntags-Spaziergang“, 27. Februar 2022

Liebe ZenhoflerInnen,

auch wenn der Spaziergang derzeit eine neue Bedeutung erlangt hat, so geht von dem Wort doch etwas Besonderes aus. Das Wort soll aus dem Italienischem stammen, von spaziare: umherschweifen. Dieses Wort soll wiederum auf das Lateinische zurückgehen: spatiari – mit gemessenen Schritten einhergehen. Und spatiari soll wiederum von spatium – Raum, Zwischenraum herstammen.

Manchmal sage ich Euch, dass ich ein kleines Mantra im Laufe der Jahre für mich entdeckt habe, das lautet: Ich gehe in der Liebe zu dir spazieren.

Dabei ist weder das Ich noch das Dir noch Liebe festgelegt. Das Ich kann der Grashalm sein, der mit dem Dir = Erde spricht. Liebevoll. Nicht einfach so, sondern voller Achtung, Respekt, Akzeptanz. Ein klitzekleiner Augenblick von einem Ich-Dir-Spaziergang. Ich lasse den Raum offen. Ich belege ihn nicht mit mir als ein Ich, dass so oder so ist. Es ist einfach ein Wesen, dass einem anderen Wesen begegnet. Meine Hand, die eine Tasse berührt. Mein Fuß, der die Erde betritt. Mein Kopf auf dem Kopfkissen. Die Hand am Duschhahn. Die Augen einen Film schauend. Ohren, die Gesprächen lauschen. Stets ein „ich gehe in der Liebe zu dir spazieren“.

Liebevolle Respektanz.

Keine Festlegung. Ein freier Raum. Ein Zwischen-Raum eines einfachen Zusammentreffens. Dieses Zusammentreffen hat es nicht eilig. Es ist nicht darauf angewiesen, dass es schnell geht. Es ist ein Gehen, das gemessenen Schrittes daherkommt. Auf diese Weise können wir es sehen lernen. Wenn es zu schnell geht, wie die 0/1- Folgen unserer modernen digitalen Technik können wir nicht verfolgen wie schnell dieses Zusammentreffen funktioniert. Im Alltag wollen wir dieses schnelle Zusammentreffen im Ergebnis sehen, eine Mail, eine Recherche, einen Kauf … . Wir sehen nicht mehr wie es entsteht.

In der Zazen-Praxis heben wir sozusagen für einen kleinen Moment den Schleier. Wir machen uns das Langsame sehend. Wir üben den Raum – den Zwischen-Raum spazierengehend zu durchschreiten. Voller Aufmerksamkeit – wann kommt der nächste Atemzug um die Ecke? Wie ist er unterwegs? Schnell? Langsam? Wo ist er gerade jetzt?

Voller Achtsamkeit – wann ist der nächste Gedanke auf der weißen Leinwand? Wie sieht er aus? Lähmt er mich und hält mich gefangen oder geht er sofort wieder unter? Ist er raum-einnehmend oder wo kommt er her? Was für ein Gefühl löst es in mir aus? Wie reagiert mein Körper darauf?

Shunryu
Shunryu Suzuki

Wir gehen in der Zazen-Praxis mit, in und durch unseren Körper-Geist-Seele-Raum spazieren. Dies können wir ohne Regung tun, ohne eine Absicht, aber wir können uns auch entscheiden, eine Absicht mit in diesen Spaziergang zu nehmen.

Die Absicht, diese Beobachtung liebevoll, zugeneigt, offen, präsent, konzentriert zu tun, gekoppelt mit dem immer wieder neu ermutigt sein, es zu tun.

Ein junger Shunryu bei der Arbeit.

Wie beim Spazieren gehen eben. Die frische Luft, die uns umfließt. Wetter fühlend. Wind spürend. Regen und Kälte hinnehmend. So können wir auch Zazen sitzen. Einfach dies alles bemerken und irgendwann bemerken wir, dass diese frische Luft wir selber sind. Wir strahlen die liebevolle Zuwendung aus der Zazen-Praxis in unserem Leben aus. Wir nehmen es mit in unser Leben und gehen einfach in der Liebe zu dir (= jegliches Phänomen) spazieren. Wir durchschreiten den Raum in friedvoller Gelassenheit. Wir nehmen an. Wir lassen los. Wir nehmen an. Wir lassen los.

Jeder Atemzug im Zazen lehrt uns dies. Wir tun nichts weiter als genau dem liebevoll Zuzuschauen. Gelingt es uns für eine kurze Zeit dieses Zuschauen zu vergessen und sind absolut präsent in diesem Atemzug anwesend, geschieht das Auftauchen der vollständigen Friedlichkeit. Für diese sitzen wir einfach. Für uns und für alle – in voller Gleichzeitigkeit.

Ich freue mich darauf mit euch Zazen-Praxis zu tun. Herzlichen Dank für euer Spazieren- gehen in diesem Raum.

Gassho

Ellen

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