Himmels-schau

Sonntag-Blog „Himmelsschau“, 8. Mai 2022

Liebe ZenhoflerInnen,

Der Frühling, der so zaghaft vor kurzem noch um die Ecke schaute, ist nun in vollster Blüte und die ersten Blüten haben uns bereits verlassen, um dem Beginn eines neuen Werdens, den Früchten Platz zu machen. Die ersten Keime sprießen auch in unseren neu angelegten Beeten im Vorgarten, wie einige sicherlich schon bemerkt haben.

Bei all diesem Schauen ist unser Blick meistens auf die Erde, den Boden, das Kommende dort ausgerichtet. Selten geht der Blick hinauf in den blauen mit leichten Wolken verzierten Himmel. Manchmal lockt uns ein blühender Baum in seine Wipfel zu schauen, aber schnell umfängt unser Blick wieder dies, was hier ganz nah auf der Erde uns anzieht. Hier noch ein Staubkorn, dort noch ein Anstrich, hier noch Unkraut, dort noch neue Blumen anpflanzen, hier noch die Spülmaschine und dort noch die Wäsche. So ist unser Blick selten auf den Himmel, auf das Himmlische ausgerichtet. Nur wenige Male im Verhältnis zum Blick nach unten richten wir den Blick nach oben.

Da oben gibt es auch viel zu entdecken!

Wenn wir Zazen üben, vergessen wir den Blick nach unten und nach oben, zur Seite, nach innen oder außen. Wir üben den Blick einfach ganz weit aufzuhalten, soweit wir können.

Nehmen wir unseren Blick draußen in der freien Natur öfter einmal in den Himmel, so können wir Zazen unterstützen, denn der Himmel über uns, egal welche Farbe er trägt, ist bereits unendlich, weit, offen, unbegrenzt und gigantisch kosmisch groß.

Himmlischer Himmel!

Der Himmel ist sozusagen ein Spiegelbild unserer eigenen Seelen, Herzen, Körper. Er zeigt uns unsere Größe, unsere Freiheit, unsere Vielfalt. Sitzen wir Zazen können wir mit diesem Spiegelbild arbeiten und die Größe, die Freiheit, die Vielfalt hier, genau hier an diesem Platz entdecken. Genau hier an diesem Platz, der so klein scheint, der schwarz ist, der bewegungslos daherkommt, der Konzentration erfordert, der uns das Kommen und Loslassen lehrt, Atemzug für Atemzug, der Sterben und Wiedergeburt zelebriert und so bunt ist, wie der Himmel jetzt im Frühling.

Vielfalt. Buntheit. Größe. Offenheit. Grenzenlosigkeit.

Kirschblüten-Wehen. Apfelblüten-Wehen. Gelbes Fichten-Wehen. Sand-Wehen. Gräser-Wehen. Insektenschwirren. Pusteblumen-Wehen. Staubwolken der Erde. Windboen.

All dies hier auf diesem Kissen, hier auf diesem kleinen Platz. Nirgends anders ist das Geräusch des Windes. Das Sehen der Farben. Der Geruch des Flieders. Das Schmecken des Bärlauchs. Das Fühlen der Sonne. Der Geist der gestalterischen Gedanken.

Hier auf diesem kleinen Platz sichtbar gemacht.

Stehen wir auf, entsteht einfach nur Veränderung. Das ist alles. Eine Veränderung, die uns jetzt deutlich sichtbarer ist, weil aus der Bewegungslosigkeit kommend, sind wir wacher für sie geworden. Wacher für Veränderung sein, bedeutet die eigene Vielfalt, Größe, Weite wie einen Koffer aufzumachen und auszupacken.

Zazen = mit einem Koffer losgehen. Wohin? Keine Ahnung!

Manchmal brauchen wir nicht alles, was wir aus dem Koffer holen, doch es soll uns an etwas erinnern. Erinnern an etwas, das auch existiert, das auch da ist, auch wenn wir selbst es nicht beständig sehen, nicht benötigen. Das ist wie die Größe des Himmels. Wir könnten ja sagen, diese Größe brauchen wir nicht. Er ist jedoch wirklich für alles, für alle, für jeglich Existierendes.

Somit ist der Himmel ebenfalls eine Erinnerung an alles, was existiert. Sitzen wir Zazen nehmen wir uns eine Zeit der Er-in-nerung. Wir sind mittendrin in dieser Weite, Größe.

Also lasst uns gemeinsam viele Male in den Himmel schauen, nicht nur auf dem Kissen, sondern auch hier direkt. Die Wipfel der Baumspitzen wiederentdecken. Die letzte Baumkrone in den Blick nehmen. Den Stamm hinaufklettern und oben den Ausblick genießen. Das Hausdach überfliegen und die Welt von oben sehen.

In diesem Sinne eine kleine wunderbare Erinnerung von Reinhard Mey. „Maikäfer fliege“

Seinen Text findet ihr hier. Das Lied selbst hier. Viel Freude beim Hören.

Lasst uns auch fliegen auf unserm Kissen sitzend in diese große offene Weite, die den Frieden kennt, die unendliche Verbundenheit trotz aller Kriege, trotz aller Hässlichkeiten. Der Film „Tatsächlich Liebe“ zeigt genau dies in wunderbarer Weise. Trotz aller Bedenklichkeiten, Übelkeiten, schwerer Zeiten bleibt diese unendlich tiefe Verbundenheit, die uns der Himmel tagtäglich ohne Bezahlung und ohne Leisten-Nutzen-Verhältnis einfach schlicht und einfach zur Verfügung stellt.

Lasst uns ihn sehen lernen. Ich freue mich darauf weiter mit euch Zazen zu praktizieren. Einfach den Himmel wieder entdecken für uns alle.

Gassho

Eure Ellen Daoren (die den Weg geht)

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