„Die Wahrheit bedeckt niemals die Falschheit.“

Sonntags-Blog, 12. Dezember 2021

Liebe ZenhoflerInnen,

Kaum zu glauben, Mitte Dezember. Leichter Regen fällt vom Himmel. Temperaturen machen von Nöten, dass wir uns warm anziehen, wenn wir hinausgehen. Regen bringt Segen, sagte man früher häufig. Wenn wir die Früchte unseres Gartens anschauen, sehen wir dies. Kein Regen. Kein Wachstum.

Streuobstwiesen. Sie sind nicht wie gemalt. Es sind Früchte des lebendigen Lebens.

Um das Sehen ging es auch am Donnerstag dieser letzten Woche. Es war für dieses Jahr das letzte Mal Zen und Theorie. Wir haben uns einen Text von Dōgen angesehen. Das Besondere an diesen Texten ist, dass Dōgen sie wirklich selber aufgeschrieben hat. Wir sind über diesen kleinen Text von Dōgen in ein Gespräch gekommen, dass nur einen kleinen Teil dessen berührt, was noch alles darin steckt. So möchte ich heute mit Euch auf einen solchen kleinen Teil eingehen.

Bitte nutzt den Raum dieses Blogs, die unten stehenden Fragen für Euch zu beantworten und Eure Fragen an mich zu richten. Ich freue mich darauf mit Euch ins Gespräch zu kommen.

Buddistische Weisheiten von Dōgen Zenji (Seite 1)
Dogen Zenji

Dōgen Zenji:

„Selbst wenn ihr die Dinge erfasst, kann man euch nicht geschickt nennen. Denn auch wenn die Buddhas den Dharma erklären, indem sie sich in vielerlei Formen manifestieren, liegt das jenseits unseres Verständnisses. Darum fragt man: ‚Was ist auf diese Art gekommen?‘ Nun – was ist damit gemeint? Die Wahrheit bedeckt niemals die Falschheit. Das Falsche verbirgt nie das Wahre.“ (Dōgen 2017, 12, 4)

  • Was bedeutet der Dharma in vielerlei Formen?
  • Was ist ein Buddha?
  • Wie ist es möglich, die Dinge zu erfassen und dennoch nicht geschickt zu sein?
  • Was ist ein Verständnis von etwas?
  • Worauf weist die Aussage hin:  Die Wahrheit bedeckt niemals die Falschheit. Das Falsche verbirgt nie das Wahre ?
  • Welche Frage drängt sich in dir selber hoch?

Einige Antworten auf die erste Frage, was Dharma bedeutet, war das Leben. Was bedeutet Leben? Wie wir wissen, ist das Wort „Leben“ ein abstraktes Wort. Wenn es uns gelingt Leben sichtbar zu machen, wo sind wir dann? Wenn ihr den Menschen anschaut, wie ist sein Leben sichtbar?

Die Antworten sind vielleicht. Wir atmen. Wir essen. Wir trinken. Wir gehen. Wir schlafen. Wir arbeiten. Wir tun immer irgendetwas. Wir bewegen uns. In diesem bewegten Tun erscheint das Lebendige vor unseren Augen. Wenn wir jetzt diese große Oberfläche des Menschen zurücklassen und in die Tiefen des Menschen hinabsteigen, sehen wir Organe, Muskeln, Knochen und Zellen. Gehen wir noch tiefer in die Dimension Mensch hinein, sehen wir Moleküle, Atome und noch kleinere Teilchen wie Quarks. All diese Teile bewegen sich. Sie führen offenbar auch ein Leben. Es ist ein für uns ungewohntes Leben, weil wir sie nicht sehen können und sehr wenig von ihnen wissen. Wir wissen jedoch, dass diese von uns so benannten Dinge existieren.

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Kleinste physikalische Teilchen. Wo sind sie überall?

In der Quantenphysik wird erforscht wie diese Quarks sich bewegen. Dabei stellte man z.B. fest, dass diese Teilchen ihre Form verändern können und dass nie vorausgesagt werden kann, wann und wie sie dies genau tun. Man kann immer nur sagen, jetzt tun sie das und jetzt sind sie an diesem Ort.

Diese ganzen Bewegungen, die unser Leben an dieser sichtbaren Oberfläche tu-bar machen, sind lebendiges Sein. All diese Bewegungen können uns etwas zeigen. Wenn wir in Kontakt mit ihnen gehen, können wir Dinge sehen lernen, die uns und unser Leben weiten und vergrößern können.

Zazen ist eine solche Praxis. Sitzen wir einfach so, können wir in Kontakt kommen mit diesen tieferen Ebenen in uns, die unser sichtbares Leben mit aufbauen. In dieser Unbewegtheit sehen wir genau das, was wir sonst nicht beobachten und sehen. All diese Erfahrungen, die z.B. das kleine Quarks-Teilchen in seinem Bewegungs-spielraum in uns macht und wir in unsere großen Handlungen machen, z.B. eine Tasse hochheben, einen Stuhl fortstellen, sind Dharma. Es ist ein Sehen lernen von sich Zeigendem.

Dieses Gesehene holen wir zu uns und fragen uns: Was macht das mit mir? Was berührt mich daran? Auf diese Weise lernen wir uns nach und nach immer besser kennen und verstehen. Und je mehr wir uns selbst verstehen, umso besser verstehen wir die Menschen, die mit uns Menschen sind. Der Dalai Lama wurde einmal gefragt, wie er einen Mörder sieht? Er antwortete, den Menschen, der dies tat, kann ich nicht verurteilen, weil er wie ich ein Mensch ist. Was ich abmessen kann an den Maßstäben einer menschlichen Würde ist die Tat selbst. Sie ist in diesem Sinne beurteilbar.

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Schaut auf seine Hände!

In diesen Zeiten ist es wichtig, das Herz für die Menschlichkeit aller Wesen offen zu halten. Leicht verfällt der Mensch in den Hass auf den Anderen. Aber der Andere ist nicht zu hassen oder zu bewerten. Und tun wir es dennoch, sollten wir als Maßstab einer möglichen Beurteilung die Würde des Menschen hinzuziehen. Erst dann können wir sagen: Das ist genug. Jetzt stehe ich auf und tue das, was mir die Intuition, mein Bauchgehirn jetzt sagt, was zu tun ist.

Zazen ist die Praxis das eigene Bauchgehirn kennen zu lernen. Ihm vertrauen zu lernen, ohne ins Zweifeln und Abwägen zu geraten. Dieses Gehirn ist seit vielen Jahrtausenden an unserer Seite. Aus welchem Grund sollten wir ihm nicht trauen?

So freue ich mich besonders darauf, mit Euch gemeinsam ein Bauchgehirn zu entdecken, das uns hilft in den Momenten unseres Lebens, in denen wir besonders gefordert werden, den für uns richtigen Weg zu gehen.

Mögen wir noch viele Stunden gemeinsam Zazen praktizieren für uns und die Welt. Ich danke Euch sehr.

Gassho Ellen

Literaturverzeichnis

Dōgen (2017): Eihei kôroku. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Frankfurt: Angkor Verlag.

2 Kommentare

  1. Dann ist das Bauchhirn die Verbindung einem Gehirn vertrauen zu können und gleichzeitig zu lernen. Denn es stellte sich mir die Frage Lerne ich aus den vielen Lehren, die es im aussen gibt, die teils widersprüchlich oder lerne ich aus meinen Wahrnehmungen, aber diese sind auch nicht objektiv.

    1. Lernen ist keine Frage der nur Wahrnehmung. Wahrnehmen ist wie du schreibst, bereits nicht objektiv, weil wie das Wort es sagt, ein für wahr nehmen ist. Lernen ist immer ganz eng mit deinem Körper und deinem Geist verbunden. Echtes tiefes Lernen entsteht durch Erfahren. Erfahren kannst du nur, indem du tust. Tun tut unser Bauch und unser Gehirn in einem feinsten Zusammenspiel von Nerven. Dies ist naturwissenschaftlich betrachtet nachgewiesen. Doch, es spielt da noch etwas mit hinein. Jegliche körperliche, geistige, seelische Form/Gestalt ist bereits ein eigendynamisches Sein und in dem großen Körper, den wir Menschengestalt nennen, spielen sie zusammen ein Spiel. Wir können dem Spiel selbst lauschen und das ist Erfahren. Wir können jedoch uns von diesem Spiel durch eine Welt ablenken lassen. Dazu gehören auch Medikamente z.B., Drogen oder Alkohol. Das Außen ist in dieser Hinsicht kein Außen mehr, sondern es ist in dem Spiel der Spiegel unseres Selbst. Wir begegnen uns in jedem Gesicht, jedem Ton, jedem Ding usw. Wenn wir immer wieder genau hinschauen, was unser Körper und Geist gerade jetzt in diesem Augenblick tut, egal ob es der Telefonhörer ist oder anderes, dann erfahren wir etwas über die „wirk-liche wirk-ende Welt“. Dies ist die Praxis des Zazen. Je mehr uns dies gelingt, um so mehr wächst der Frieden mit unserem Tun, je größer wird das intuitive Spontane Jetzt und Hier. Genau das ist Frieden, Freiheit, Menschliche Liebe.

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