Die Idee Atem

Sonntags-Blog „Die Idee Atmen“, 6. November 2022

Liebe ZenhoflerInnen,

heute möchte ich mit Euch noch einmal zurückkehren zum letzten Zen und Theorie. Wir nahmen uns Aussagen aus dem Sandokai, dem Sūtra von der Harmonie der Verschiedenheit und Gleichheit vor.

Eine der Fragen zum Sandokai beschäftigte sich mit der Aussage: An einer Idee zu haften, ist Täuschung. Es stellte sich uns die Frage, was ist eine Idee? Natürlich fiel uns Platons Ideenlehre ein. Natürlich zählten wir auf, dass eine Idee ein Gedanke ist, ein Einfall, dass man eine Idee verfolgen kann bis zu einem Ergebnis usw. Aber, was ist wirklich eine Idee? Und, was bedeutet es, wenn es heißt, dass wir nicht daran haften sollen, weil es dann eine Täuschung, Irrtum ist?

All unsere gewählten Ansätze vergessen ein Prinzip, dass der ZenMeister Sekito um 700/800 Jhd. im Sandokai niederschrieb. Er sagt ganz gezielt, Harmonie von Verschiedenheit und Gleichheit. Wir denken in unseren naturwissenschaftlich orientierten Gedanken und vergessen, dass es einen geisteswissenschaftlichen Ansatz auch gibt. Einen Geistes-Wissen-schaftlichen Weg.

Was ist eine Idee in dem Feld des Geistes?

Schauen wir auf die Zazen-Praxis, die bekanntlich über 2500 Jahre weitergegeben wird und einen Geistes-Wissen-schaftlichen Weg darstellt. Im Zazen üben wir das Feld des Körpers (Schmerzen, Einschlafen von Gliedmaßen, Jucken, Schlucken, Hustenreiz, Bewegungsimpulse) zu bemerken. Auf der Ebene und dem Feld des Geistes ebenso. Ein Gedanke an …, ein Geistesblitz zu …, ein Wort …, ein Satz …, eine Vorstellung von …, eine Meinung zu …, ein Einfall. Irgendwann erlernen wir das Zusammenspiel der Beiden. Und wenn wir das Beobachten vergessen und ganz der Moment sind, ist der Atem der Atem, die Welt die Welt, das Wasser Wasser usw. Mit dem Bemerken, erfahren wir etwas über dieses Körper-und Geistfeld. Bemerken wir noch genauer, erfahren wir ein Wissen, das unser bisheriges Wissen erweitert. Erweitert womit? Mit einer „Wissenheit“, wie man vor dem Begriff Wissenschaft sagte, oder auch „Weisheit“, eine Ein-Sicht.

Ist die Ein-Sicht, die wir im Zazen erfahren, eine Idee?

Eine Idee, die mit und durch den Atem uns das zu Wissende und zur Weisheit führende offenbart? Bewegungslos stillsitzen und einfach der Idee zuschauen?

Der Atem als Idee ist ein absolut neuer Gedanke. Bis jetzt nahmen wir immer an, dass Atmen keine Idee ist, sondern wie an dem Abend auch gesagt wurde, eine Notwendigkeit, eine naturwissenschaftliche Erkenntnis, die erklärt, warum wir atmen.

Der Atem eine Idee?
Bild von Jamie Fox

Gehen wir jetzt den Schritt hinüber über die Schwelle, gehen in eine Ideenwelt von Platon, was widerspricht der Ein-Sicht, dass der Atem eine Idee ist? Wir gehen immer davon aus, dass, wenn bei einem Menschen, der Atem stirbt, der Atem stirbt, aber tut er das wirklich? Nehmen wir uns selbst ein wenig zurück, dann erkennen wir, dass der Atem endlos und anfangslos ist. Er ist immer schon da. Eine Idee, wie ich immer sage, des großen Pools?

Wenn wir an einem einzigen Atem haften bleiben, was geschieht dann? Dann sterben wir, weil wir dem Atem, dieser Idee keinen Freiraum der Entfaltung zugestehen. In dem wir den Atem zuschauen, haften wir nicht. Er darf hier oder dort sein, tief oder flach, heil oder krank. Das ist das nicht Anhaften an einer Idee. Der Atem kann uns lehren, an keiner Idee zu haften und somit keiner Täuschung zu erliegen. Der Täuschung zum Beispiel, dass mit dem Sterben eines Menschen, die Atmung stirbt. Einerseits, auf der naturwissenschaftlichen Seite ja, aber auf der Geistes-Wissen-schaftlichen Ebene kann der Atem gar nicht sterben.

Festhalten an dem eigenen Atem, der eigenen Idee, ist vergessen, dass wir mehr sind als das, was wir denken zu sein. Die Räume unseres Seins sind größer, bunter, vielfältiger als wir ahnen. Daher ist jeder Ansatz eines Festhaltens, Anhaftens, Festkleben, ein vorgetäuschtes Bild, das immer nur ausschnitthaft eine Millisekunde des Ganzen aufreißt.

In der Zazen-Praxis können wir mit Hilfe der Idee Atem Augenblick für Augenblick die Täuschung sehen lernen und zurückkehren zu dem, was die Menschen einmal „Weisheit“ nannten, eine Geistes-Wissen-schaftliche Erfahrung!

Uns allen eine gute Rückkehr zur Weisheit!

Gassho

Ellen Daoren (Die, die den Weg geht.)

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