„mehr als“

Sonntags-Blog „mehr als“, 14. Nov. 2021

Liebe ZenhoflerInnen,

wunderschön heute ein paar Sonnenstrahlen zu erleben nach den letzten grauen Tagen. Die Kraft der Sonne reichte aus, um den Wolken ein paar Minuten Ruhe zu gönnen.

Wie ihr wisst, haben wir in diesem Monat drei neue MitgliederInnen begrüßt. Das Schöne an neuen Zazen-Übenden sind ihre Fragen. Maximilian hat dabei eine wunderbare Frage gestellt. Er fragte ganz zu Anfang nach, was es ihm bringe, Zazen zu üben und ob es besser wäre mit Kopfhörern zu meditieren, wenn es rundherum laut sei.

Diese Fragen waren für mich der Grund noch einmal selber über diese nachzudenken, bevor ich ihm eine Antwort gebe, die weit genug ist, um Schranken überwinden zu können.

Schließen wir zum Beispiel unsere Ohren mit etwas, so dass wir das Laute von außen nicht mehr hören, das, was angeblich von einer anderen Welt als wir selbst kommt, von einer Welt da draußen, schließen wir nicht nur diese Töne aus, sondern vielleicht auch den Ton, dem es gelingt, uns die Ganzheit hören, fühlen, schmecken, sehen zu lernen.

Töne, die wir in der Meditation nicht hören wollen, auszuschließen, bedeutet, dass wir im lebendigen Leben unserer Welt vielleicht auch etwas ausschließen, weil wir es einfach nicht hören wollen. Doch kann genau dieses es sein, was uns gerade etwas erklärt und verdeutlicht.

Und noch etwas tun wir in dem Moment des Ausschließens, wir verkleinern, begrenzen uns selbst. Es ist ja unser Gehör mit all seinen Funktionen, die aktiv sind. Sie sind mit uns gemeinsam aktiv und können uns daher bei uns etwas zu erkennen geben, was wir auch noch sind. Vielleicht ungeduldig, vielleicht ungenau, vielleicht übermässig individuell, vielleicht….

Maryvilla, Calpe, Kalp, Wasser, Meer, Panorama, Natur
Wieviele Eigenschaften sind auf diesem Bild?

Mit Geräuschen zu meditieren, ist „normal“. Denn das größte Geräusch sind wir selbst. Es kann uns zu Fragen führen: Wie gehe ich selbst mit Lautstärke um? Welche Geräusche erzeuge ich? Achte ich beim Hantieren mit den Dingen auf Lautstärke oder nur auf ordnungsgemäßen Gebrauch? Was meines Tuns bringt überhaupt Töne hervor?

Geräusche eröffnen also gerade in der Meditation ein Beobachtungsfeld des Eigenen! Beim Hinhören kann Vieles geschehen. Eines ist, dass wir es tatsächlich nicht mehr hören, weil wir zum Hören werden, Hören sind und dann fällt jede „Bewertung“ des Hörens.

Eines der ersten Fragen des Zen-Meisters Dōgen Zenji ist: Was hält dich auf dem Kissen? Welchem Antrieb folgst du, wenn du dich auf das Kissen setzt?

Dōgen selbst hat sich übrigens nie als Zen-Meister gesehen, sondern immer als Mönch Dōgen bezeichnet. Das bedeutet, dass er sich diese Frage selber auch gestellt hat.

Wenn wir uns diese Frage stellen, können viele Antworten erfolgen. Eine davon ist, dass wir ruhiger in unserem Alltag sind, dass wir tatsächlich gelassener werden im Umgang mit den Dingen. Auch die Stärkung der Rückenmuskulatur und die gerade Körperhaltung kann als Antwort dienen. Gerade und aufrecht im Leben stehen. Diese Antworten sind moderne Antworten unserer „Leistung und Nutzen-Welt“ mit der üblichen Frage: Wozu soll ich das tun? Was habe ich davon? Was bringt mir das für einen Gewinn?

Doch all diese Antworten beschreiben wie immer nur einen Ausschnitt. Es gibt jedoch noch eine Antwort, die umfassender ist, die dies alles mit beinhaltet und gleichzeitig in eine Perspektive hineinführt, die wir im normalen Leben oftmals nicht bedenken und übersehen.

Es ist die Frage, ob wir in unserem Leben „mehr“ sein wollen, als ein Meditierender, der darin Ruhe und Gelassenheit findet? Ob wir „mehr“ sein wollen, als diese Erklärungen und Begründungen oder „wirklich“ meditieren wollen? Meditieren, das uns zu dem macht, uns das zeigt, was wir selbst sind. Meditation als ein Erweitern unseres Lebens-Raums. Ein Meditieren, das uns weiter, größer, selbst-be-wusster, freier sein lässt. Meditieren ist eine menschliche Fähigkeit, eine menschliche Methode für ein „passenderes“ eigenes Leben. Somit ist sie eine Lebenseinstellung, eine Lebenshaltung.

Wie viele Eigenschaften hat ein Wesen?

Daher heißt es so schön: „Den Buddhismus studieren, heißt sich selbst zu studieren. Sich selbst zu studieren, heißt sich selbst vergessen.“

Was das bedeutet?

Ihr habt ein lebendiges Beispiel vor Euch. Ich arbeite in diesem Sinne seit mehr als 15 Jahren. Ich habe es nie bereut, denn es hat mich „mehr als“ bereichert und mich viele wertvolle Erfahrungen zum Leben gelehrt.

Dies reiche ich weiter an Menschen, die dies wollen. Daher Zen-Intensiv. Daher das jap. Drei-Schalen Essen Oryoki oder das Dokusan-Vier-Augen-Gespräch. Daher die Zazen-Meditation mit Biodanza, mit einem Film, mit Trommeln verknüpfen.

Erfahrungsbereiche der Selbst-Begegnung in einem bewegungslosen offenen Raum schaffen, denn jeder Mensch ergreift sich selbst, wenn er das Andere loslässt.

Die Begleitung dabei biete ich uns allen im Rahmen meines Tuns an. Das ist das „mehr als“. Es ist eine Absicht, ein Tun wollen, eine Entscheidung. Wir können ein Leben lang meditieren für unsere Ruhe und damit zufrieden sein. Wir können jedoch den Raum offen lassen und zuschauen, welche Fragen kommen und uns dann mit diesen beschäftigen. Diese aufkeimenden Fragen sind das Salz der Meditation. Sie zeigen den Weg auf zu Dir selbst.

Wir er-schaffen auf diese Weise nicht nur unseren eigenen Selbst-Frei-Raum, sondern in dem Moment, wo wir an uns arbeiten, tun wir das, was der Philosoph Keyserling so ausdrückt:

„Wer ein fälliges Problem für sich löst, löst es zugleich für alle und für immer.“ (Keyserling 1927, S. 62)

In diesem Sinne wünsche ich uns allen, ein weiterhin gutes Sitzen mit dem Er-schaffen eines Selbst-Frei-Raumes für alle.

Gassho Ellen

P.S. Dieses „mehr als“ kommt übrigens in dem wunderbaren Film „peaceful warrior“ an einer prägnanten Stelle zu Wort. Der Film ist nur zu empfehlen.

Literaturverzeichnis

Keyserling, Hermann (1927): Wiedergeburt. Darmstadt: Reichl.

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