Wem vertrauen wir?

SonntagsBlog „Wem vertrauen wir?“, 29. Juli 2023

Liebe ZenhoflerInnen,

die letzten Tage erinnerten nicht an Sommer eher an Herbst, nichts desto trotz blühen die Blumen, reifen die Früchte.

Meine großartige Tigerlilie!

Unser Klarapfelbaum trägt in diesem Jahr Früchte wie lange nicht. So sitze ich zweimal in der Woche am Küchentisch und schneide Äpfel. Apfelkuchen, Apfelmarmelade-Inspirationen, Apfelmus. Dabei stellte ich mir einmal wieder die Frage: Was machst du eigentlich wirklich? Was siehst du wirklich?

Genau in dem Moment schnitt ich aus dem Kern einen Wurm heraus, der seine Eier schon abgelegt hatte. Wir nennen es alle Wurm, dabei ist es eine Raupe. Doch, was tut dieser Raupen-Wurm? Er begnügt sich nicht mit der Außenschale eines Apfels oder mit dem Fleisch. Nein, dieser Raupenwurm marschiert zielgerade auf den Kern zu. Dort weiß er um die Sicherheit seiner Zukunft. Erst dort legt er die Eier ab. Er vertraut diesem Drang, den Kern zu berühren, den Kern anzugehen, den Kern einzunehmen.

Auf dem Weg zum Kern!

Gehen wir auch vertrauensvoll zu unserem eigenen Kern? Egal, welche Hindernisse sich auftuen? Legen wir unsere Zukunft auch im Kern ab oder sind wir bereits mit der Außenschale oder dem Fleisch zufrieden? Vertrauen wir unserem Gang zum Kern oder fürchten wir uns vor ihm, denn er ist ja so tief verborgen in diesem Fleisch?

Wem vertrauen wir? Wirklich uns selbst? Oder ist die Außenschale und das Fleisch so beeindruckend, dass wir den Weg zum Kern nicht mehr für nötig halten, denn es ist ja alles schon gut. Alles läuft wie es sein soll. Die Arbeit. Die Familie. Der Urlaub. Die Freiheit ist wieder da. Wir dürfen wieder überall hingehen. Wir dürfen wieder auswählen. Jetzt können wir alles loslassen, was uns belastet hat und wieder frei atmen, wohin uns der freie Wille lenkt.

Aber, was ist frei sein? Was ist abhängig sein? Was ist freier Wille? Was ist Vertrauen? Welchen Menschen vertrauen wir überhaupt? Welchen Wesen vertrauen wir? Können wir in den Gesichtern von Menschen Vertrauen entdecken, so dass wir wissen, wir können vertrauen?

Als ich jetzt mit der Assistentin Anja May des grönländischen Schamanen Angaangaq sprach, erzählte ich von meiner Wanderung. Dass ich einfach an einer Haustür klingelte irgendwo im Dorf und nach dem Weg fragte. Da sagte sie, dass ich großes Vertrauen in die Menschen habe.

Dorf auf dem Kunigundenweg!

Ist das so? Wenn ja, wie kommt es dazu? Kenne ich mein Vertrauen zu mir und meinem innersten Kern wirklich? Bin ich und gehe ich weiterhin den Weg direkt zum Kern mit dem nicht erlöschenden Vertrauen, dass in diesem meinem Kern der Kern aller Kerne liegt? Ich nahm nicht das Handy und suchte, sondern ich klingelte bei einem echten Menschen und stellte eine Frage. Wirklicher Austausch!

Bedarf es einer „Kultivierung von Energie“, wie es jetzt eine Zenhoflerin schrieb, um in den wirklichen Austausch zu gehen? Welcher Energie bedarf es, den Kern des Vertrauens zum eigenen Mensch-Sein zu entdecken? Wann weichen wir vom Weg zum Kern des Vertrauens ab? Wie und mit welchem Wissen treffen wir diese Entscheidung? Ist ein „es passt gerade nicht“, eine Antwort auf die Frage: Wem oder was vertraue ich jetzt gerade?

Was passt gerade nicht?

Das eigene Selbst zum eigenen Leben? Das Leben zur Gesellschaft und meine Stellung darin? Was entscheidet über das „angemessen sein“, was passend ist? Welche Stimme spricht hier in mir? Kenne ich diese Stimme wirklich? Folgen wir einer Intuition oder einem Gedankenwerk?

Im Sandokai heißt es, dass wir keine eigenen Maßstäbe aufbauen sollten, denn sie könnten uns vom eigentlichen Ort des Vertrauens, unserem eigensten Weg zum Kern ablenken. Dem Ort, der der Ort aller Dinge ist.

Wie häufig sagen wir heute: das passt mir gerade nicht? Was machen wir hier? Wohin schauen wir? Ist der Kern des Vertrauens in die Menschlichkeit der Menschen und ihrer menschlichen Gemeinschaft dahingeschmolzen? Halten wir uns die Menschen „vom Hals“ mit dem –das passt mir gerade nicht-? Was tun wir hier? Was geben wir an die menschliche Welt weiter? Was leben wir hier für ein Vorbild?

Eine Computertechnologie hat uns gelehrt, per Knopfdruck die Verbindung aufzubauen und zu löschen, so wie es uns gerade eben passt. Das passt. Ich bestimme hier. Ich bestimme, mit wem es passt und mit wem nicht? Die Computertechnologie macht es möglich? Doch, wie sieht es im mitmenschlichen Raum aus?

Wenn ich dieses neu Gelernte der Technologie auf die Menschheit anwende, wie sieht das entstehende Bild von menschlicher Menschheit dann aus? Wenn alles sich danach bewegt, dass es gerade passt, angenehm ist und wenn nicht, dann Knopfdruck und das Unangenehme, nicht Passende ist weg.

Mich wundert, dass niemandem auffällt, dass die menschliche Menschlichkeit immer mehr versinkt in einem –das passt mir gerade nicht-. Du passt mir gerade nicht. Was geschieht, wenn dieses Du plötzlich Ich ist? Seit Immanuel Kant vor dreihundert Jahren den Nutzen entdeckte, hat sich eine Menschheit entwickelt, der der Nutzen über alles geht. Der Nutzen für mich, für mein Selbst, für meine Familie, für meine Arbeit, für mein Land, für mein….

Das gesamte große Feld, der Kern des menschlichen Mitmenschen, wo haben wir es hingestellt? Was machen wir mit ihm? Ist er es wert, dass er mit – das passt gerade nicht- abgeschmettert wird? Schmettern wir uns damit selbst ab, denn wir passen gerade nicht? Zu alt? Zu jung? Zu bieder? Zu anhänglich? Zu verliebt? Zu nüchtern? Zu…? Besteht unsere Würde nur noch in einem Knopfdruck? Jetzt passt es? Jetzt passe ich? Jetzt passt es nicht? Jetzt passe ich nicht?

Bestimmt hier ein Kern des Vertrauens in die Menschlichkeit unser aller Leben oder bestimmt hier, entschuldigt den Ausdruck, ein Ich-bezogenes Etwas die Menschlichkeit?

Worauf reduzieren wir auf diese Weise unser menschliches Vertrauen in die Menschheit? Wem vertrauen wir, wenn nur das, was gerade passt, noch zählt? Was geschieht mit dem, was nicht passt, wird es beiseite geschoben? Eliminiert?

Im Vertrauen auf den wirklichen Kern im Innersten von uns allen schließe ich diese Zeilen, denn was ist so unvorstellbar großartig und wunderbar wie eine menschlicher Mensch? Nichts! Gar nichts!

Ein menschlicher Raum!

Ein nachdenklicher SonntagsBlog geht zu Ende.

Nehmt die Fragen. Entdeckt Antworten nicht nur in der Außenschale. Der Ort der Orte ist einsehbar. Auch durch die wunderbare Praxis des Zazen. Das wünsche ich uns allen, denn Miss-trauen (Fehlendes Zutrauen) zu den Menschen, ist die Basis für verloren gegangenen Frieden, sowohl in uns selbst wie in der gesamten Menschheit.

Tiefes Gassho einer nachdenklichen Ellen

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