Sonntags-Blog, 12. Juni 2022, „Was ist Zen?“
Liebe ZenhoflerInnen,
letzten Donnerstag war in kleiner Runde Zen und Theorie. Es ging um die Geschichte zweier großer Zen-Meister. Tozan war Gründer des Soto-Zen und Ummon der des Rinzai-Zen. Beide treffen sich. Beide befruchten sich. Tozan lernt von Ummon, der schon älter ist und länger praktiziert. Es macht Klick bei Tozan und er begreift.
Was ist Tozans Zen?
Kerstin stellte die Frage: Was ist Tozans Zen, wo er doch auf die Fragen von Ummon so sachlich korrekt antwortet? Was ist daran Zen?
Wir landeten bei den zwei Seiten der Medaille, die gleichzeitig anwesend sind. Meistens halten wir uns auf einer bekannten Seite auf. Unseren Gewohnheiten. Unserem Alltag. Unserer Ordnung. Unserem täglichen Tun. Spülen. Waschen. Kochen. Garten. Einkauf. Kinderbetreuung. Freunde. Arbeit. Urlaub. Sonntag und Montag…Wir erkennen nichts Anderes mehr. Das ist die Realität.
Bemerkenswerter Weise hat die Medaille jedoch zwei Seiten. Selbst die digitale Welt kennt die großen Zwei. Es kann niemals nur eine Seite eine Medaille zaubern und es kann keine Nachricht um die Welt geschickt werden, wenn nicht diese zwei Schaltungen existieren. Meistens schauen wir nur auf das Bild vor uns, auf das Tablett, auf das Handy. Es sind wieder die Bilder, die wir gewohnt sind zu sehen. Wie diese Zeilen hier auf eurem Computer. Doch gleichzeitig während ich diese Zeilen schreibe, ihr sie jetzt lest, gleichzeitig bewegt sich eine vielfältige Null-Eins-Folge durch einen spannungsgeladenen Raum. Wir sehen ihn nicht. Wir hören ihn nicht. Wir schmecken, riechen und fühlen ihn nicht, aber er ist da!
Bemerkenswerter Weise müssen wir eine Medaille hinstellen, um die Vermutung äußern zu können, dass sie zwei Seiten hat. Da ist sie wieder die gerade Linie!
Der „unsichtbare Raum“
Wenn wir ein Gefühl für diese „unsichtbaren“ Räume entwickeln wollen, für die andere Seite der Medaille, für das Absolute zum Relativen wie es im Sandokai heißt, dann bedeutet dies, dass wir bemerken lernen, wann die Medaille sich dreht. Wann fühlen wir die Gewohnheit, wann fühlen wir, dass wir unbekanntes Land betreten? Wann erscheint uns etwas Unbekannt, etwas Anders als es bisher war, wann öffnet sich eine Tür zu einem Raum, den wir bisher noch nicht betreten habt?
Was ist Zen?
Was ist unser Zen? Zen ist genau das. Wir lernen bemerken. Wir lernen auf zu merken. Wir üben das Unsichtbare be-greif-bar zu machen. Greifbar im Sinne von Zupacken, damit wir es nicht übersehen, sondern in Ruhe anschauen. Dieses ruhige Anschauen ist die Zazen-Praxis. Hinsetzen. Nichts Tun. Zuschauen. Bemerken. Was ist jetzt anders als gerade noch? Nicht nur der Gedanke XY ist anders als der Gedanke AB von gerade, sondern auch der Atem ist anders. Gerade war er noch im Bauchraum. Jetzt ist er im Brustraum. Gerade habe ich in aller Ruhe bis 10 gezählt. Jetzt bleibe ich ständig hängen.
Durch dieses Greifen des Wechsels machen wir uns den Wechsel auch im täglichen Leben sichtbarer. Jetzt greifen wir mit der linken Hand die Tasse Tee. Jetzt mit der Rechten. Jetzt setzt sich der linke Fuß auf die Erde. Der rechte Fuß trippelt. Je näher wir dem Zuschauen unseres Körpers rücken, je näher rücken wir dem Wechsel des Tuns. Je näher wir dem Wechsel des Tuns rücken, je greifbarer wird das Jetzt. Wir fallen hinein in diesen graden Spalt. Deswegen spricht Zen immer von der geraden Linie.
Die gerade Linie
Dieser Spalt, in den wir fallen, den wir berühren, den wir erfahrbar machen können, dieser Spalt ist die Gleichzeitigkeit der beiden Seiten der Medaille. Beide Straßenseiten existieren jetzt. Gewohnheit und das Absolute als das Ganze treffen sich auf der Mittellinie und wir sind mittendrin. Wir sind es immer. Nur bemerken wir es nicht. Wenn wir es bemerken, ist es schon vorbei.
Aber es ist in unserem Körper und Geist abgespeichert. Es fällt uns leichter diesen Wechsel sehen zu lernen. Was ist Zen? Was ist seine Bedeutung? Was erlernen wir wirklich?
Wir lernen uns selbst kennen, nichts Anderes, nichts von dort oder da, sondern hier genau hier an diesem Ort jetzt. Das, was da gerade sitzt, steht, sich verbeugt. Das, was im Alltag das Lenkrad des Autos festhält, die Bremse tritt, den Kugelschreiber nimmt, den Grashalm zupft. Wir lernen die Größe, die Weite, die Vielfalt des Ganzen erfahren und wach-sen und reifen.
Und wach-sen und reifen können wir immer. Denn sind wir es, dann können wir den dauerhaften Frieden bemerken. Den Frieden und die Freiheit, die nicht intellektuell sind, sondern die dieser, unser Körper, unser Geist, unsere Seele schon immer kennen. Das Reif-Sein. Augenblick für Augenblick, weil da ist nichts Anderes. Nur einfach das!
Zen ist ein Weg dahin. Für mich der schönste Weg, den ich kennen lernen durfte. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich wünsche Euch allen und uns allen in diesem Universum diesen Frieden und diese Freiheit.
Einen schönen sonnigen Tag für Alle.
Mögen die Sterbenden und die Lebenden den Frieden erfahren. Für sich und für alle.
Gassho Ellen Daoren
Ja, danke liebe Ellen, die zwei Seiten der Medaille begleiten uns ständig im Wachsein, in unseren Träumen, bei der Arbeit, beim Entspannen, erinnern wir uns daran bei allem was wir tun ob laut oder leise, möge uns Zen das lehren.