SonntagsBlog „Über die Mitte“, 3. August 2024
Liebe ZenhoflerInnen,
die Mitte des Jahres überschritten, nähern wir uns im August schon wieder der Winterseite, auch wenn der Sommer sich gerade erst beginnt zu zeigen. Die ersten Felder sind abgemäht. Der Abend wird wieder schneller dunkel. Die Ernte freut sich auf ihr Ableeren. Die Ferien laden zum Verweilen und Urlauben ein. Jetzt ist summertime!
Wo ist die Mitte?
Doch, wo war die Mitte? Die Länder im Norden feiern diese Mitte. Sie tanzen, singen, feiern einfach. Wann feiern wir unsere Mitte? Sehen wir sie überhaupt? Kennen wir unsere Mitte?
Wenn wir unseren Körper anschauen, wissen wir, wenn wir unseren Bauch über einen Punkt kippen, dann fallen wir um, ist dieser Punkt die Mitte? Doch, die Mitte von was?
Wenn wir unseren Geist anschauen, wissen wir, wenn wir ihn spazieren gehen lassen, dass es nur eine beständige Mitte gibt und das ist die, wenn der eine Gedanke zum nächsten Gedanken springt. Diese Mitte bekommen wir nur mit, wenn wir gelernt haben, diese Mitte zu sehen. Dann können wir sogar entscheiden, ob wir das Nächste, das da kommt, denken wollen oder nicht. Wir können auch lernen, dass es so viele Mitten gibt, dass es erstaunlich ist, dass wir immer nur von einer sprechen.
Was ist die Mitte? Was ist unsere Mitte?
Mathematisch betrachtet, ist die Mitte, der Punkt, von der äußeren Begrenzung überall gleich weit entfernt ist. Dann gibt es da noch die Sprichwörter: Ab durch die Mitte. Reich der Mitte.
Da ist etwas, das wir mit Mitte benennen. Einen Punkt. Doch, dann müssten wir uns als nächstes die Frage stellen: Was ist ein Punkt? Und hätten wir darauf eine Antwort: Wüssten wir dann, was die Mitte ist?
Irgendwie ist die Mitte etwas Seltsames. Sie ist irgendwie da und irgendwie nicht da. Wenn wir auf die gedanklichen Mitten schauen, sehen wir, wie schnell sie an uns vorüber huschen, meistens sogar unbemerkt. Wenn wir auf unsere Körpermitten schauen, die Mitte der Hand, die Mitte des Fußes, die Mitte des Kopfes, des Gesichts, der Brust, des Rückens, dann stellen wir fest, je nachdem wie wir uns bewegen, bewegt sich diese Mitte auch. Genauso schnell übrigens wie die Gedanken. Achtet beim Beobachten eurer Hand einmal auf ihre Mitte!
Was ist die Mitte?
Wenn wir Zazen praktizieren und mit dieser Frage in unsere Atmung und dem Zählen eintauchen, kommt vielleicht völlig unerwartet eine völlig andere Antwort hoch, als wir uns je vorstellen können.
Als der große Zen-Meister Tozan von einem Mönch gefragt wurde, was Buddha sei, antwortete er: „Dieser Flachs wiegt drei Pfund.“
Was ist hier die Mitte?
Kaum sichtbar, steht sie direkt vor unserer Nase. Sie ist so unscheinbar direkt, dass wir beständig an ihr vorbeilaufen, sie suchen, sie erwarten, sie bedenken, sie umdenken, sie betiteln, sie mit unseren weisen Ansichten belegen. Doch all dies ist die Mitte und ist sie nicht. Das ist das Besondere an der Mitte. Sie ist immer gegenwärtig und gleichzeitig ist sie es nicht. Wir sind da und sind nicht da. Die Meditation zeigt uns dies immer wieder. Gerade noch waren wir direkt in unserer Mitte. Wir waren im Atem zuhause. Wir zählten ohne zu denken und im nächsten Moment steht der Gedanke nach dem Einkaufzettel auf. Wir verlassen die Mitte und kreieren eine Neue. Die Gedankenmitte. Die uns dann auch verloren geht, denn der nächste Gedanke kreist schon in der Nähe und wir greifen nach ihm, als wären wir ohne ihn verloren.
Unser Körper greift nach Wahrnehmungen. Er hört dies, sieht das, schmeckt jenes und riecht das. Permanent sind wir in einer uns wieder verlassenden Mitte. Meist sehen und spüren wir sie nicht. Doch ab und zu greifen wir nicht nach Gedanken und Sinneseindrücken, sondern bleiben wie in der Meditation einfach ganz ruhig, tun nichts und wenn wir dann all unser Sinnen bündeln, das konzentrierte Tun des Atems tastend erspüren, berühren wir sie plötzlich. Wir bemerken dann auf einmal so ein friedliches freies Gefühl. Es ist plötzlich so still um uns herum. Es ist so einfach. Genau das ist die Mitte. Jetzt ist sie spürbar.
Die Mitte ist Moment für Moment in einer neuen Gestalt gegenwärtig. Sie bemerken zu lernen, ist die hohe Kunst der Meditation. Mit dem Bemerken der eigenen Mitten entsteht das freie Jetzt in uns, dass die Zufriedenheit eines menschlichen ganzen Lebens spüren lässt.
Ich wünsche uns allen diese Erkenntnis unserer vielen Mitten, denn dann sind wir die Mitte.
„Der Knabe ‚Reichhaltiger‘ dankte dem Priester und verneigte sich, bis sein Kopf dessen Füße berührte. Er umkreiste den Priester unendliche Male, blickte zu ihm auf und nahm Abschied, um nach Süden zu reisen. “ (Kegon-Sûtra 2008, S. 331)
Eine gute Zeit uns allen.
Herzlich Ellen Daoren
Literaturverzeichnis
danke Ellen wunderschön, über die Mitte nachzudenken hat etwas Besonderes, ja die Mitte des eigenen Lebens – wir kennen sie nicht, dennoch gibt es Sie. Wir selbst können sie nicht mehr berechnen.