Geschichten er-zählen

SonntagsBlog „Geschichten erzählen“, 13. Juli 2025

Liebe ZenhoflerInnen,

die große Hitze ist einem wolkenverhangenen Himmel gewichen. Der Sommer atmet gerade auf und holt Luft für die nächste heiße Welle.

Sommer-Fest im letzten Jahr. Auch ein aufatmen! Den Menschen, der neben mir Zazen übt, von einer neuen Seite kennen lernen. Lohnt sich das? Können wir so Freundschaft erfahren?

Einmal tief durchatmen!

Das ist ähnlich wie bei uns. Bevor wir die nächste anstrengende Arbeit beginnen, atmen wir noch einmal tief durch. Das geschieht auch, wenn wir die Geschichte unseres eigenen Lebens betrachten und jemandem davon erzählen. Je nach Schwere holen wir noch einmal tief Luft und dann hören wir unsere Stimme erzählen, wie wir eine schwierige Situation in unserem eigenen Leben gemeistert haben. Selbst das darüber sprechen, fällt uns so schwer, dass wir erst zu Atem kommen müssen.

Die Geschichte von unserem eigenen Leben erzählen.

Was passiert, wenn wir dies wirklich tun? Wir trauen uns tatsächlich darüber zu reden. Nicht so wie es die meisten Menschen tun. Mit Distanz. Mit durchgedachter Absicht. Mit Hintergedanken wie: was lasse ich aus, was erzähle ich niemals. Mit Lügen. Mit von Wünschen durchwirkten Träumen.

Ungeschminkt. Ganz wahr.

Nein, einmal wirklich die eigene Geschichte des Lebens erzählen. Ungeschminkt. Ganz wahr. Ohne sich etwas vorzumachen, zu verheimlichen, zurückzuhalten. Offen und ehrlich zu sich selbst. Wir trauen uns einfach. Wir weinen. Wir werden laut und leise in unserer Stimme. Wir schweigen Momente. Wir lächeln. Wir verfolgen unseren Gesichtsausdruck wie er von der Trauer zur Freude wird. Wir sind ganz im Erzählen der Geschichte unseres eigenen Lebens. Wir sind mittendrin. Wir hören uns selber zu. Wir sehen uns selber noch einmal zu. Wir sprechen noch einmal Sätze, die wir vielleicht immer mal wiedersagen und deren Bedeutung uns erst jetzt klar wird. Wir fühlen noch einmal die Gefühle. Gefühle von Verletzung, von Freude, von Verlust, von Liebe, von Vertrautheit, von Hass, von Ungeduld, von Ärger. Wir sind ehrlich und offen mittendrin in der Geschichte unseres eigenen Lebens.

Sommerfest 2024. Mittendrin in der Geschichte unseres eigenen Lebens. Ein Jeder. Eine Jede. So wie er/sie gerade ist. Das Bild zeigt den Ausdruck eines Jeden!

Unsere eigene Geschichte des Lebens

Tun wir dies, brauchen wir manchmal einen ZuhörerIn. Doch ist dies nicht von unbedingter Notwendigkeit. Wir können uns selbst hinsetzen und uns diese Geschichte erzählen. Geschichten erzählen Dinge, die sich ereignen und ereigneten. Und wenn sich etwas ereignet, geschieht etwas, das ziemlich schnell vor sich geht. Da kommt das Wort Geschichte her. Es kommt von „geschehen“, das wiederum mit „schicken“ zusammenhängt. Wir schicken uns in eine Situation. Wir gestalten sie aus. Wir fügen uns ihr in ihrer uns erscheinenden Art. Wir erfahren Geschichte, die Geschichte unseres eigenen Lebens, die so schnell an uns vorüberzieht, dass wir manchmal für einen Augenblick erstaunt davorstehen und sagen: Oh, schon wieder ein Jahr. Sind die Kinder schnell groß geworden. Wir sind alt geworden….

Ein Sommerfest mit Biodanza vor vier Jahren.

Wir sind immer mittendrin

Betrachten wir unser Leben unter diesem Aspekt sehen wir wie bunt und vielfältig es ist. Jeder Moment des Lebens geschieht hier direkt mit uns, in uns, durch uns. Wir sind immer mittendrin. Wir erzeugen Geschichte. Wir kreieren Welt, unsere eigene Welt.

Und wenn wir auf dem Kissen sitzen und Zazen praktizieren, können wir sehen wie wir Geschichte schreiben, unsere eigene Geschichte. Wir er-zählen uns unsere eigenste Welt. Wir zählen sie tatsächlich. Augenblick für Augenblick.

Die große Stille

Und dabei öffnen sich die Geschichten unseres vergangenen Lebens, unseres zukünftigen Lebens und wenn es uns gelingt für einen kleinen Moment die Geschichte genau in diesem Augen-Blick zu lesen, dann bemerken wir die große Stille dieser Lebensgeschichte. Sie durchwirkt uns einfach, still und leise, verlässt uns nie und ist uns stets zur Seite. Jede Geschichte unseres eigenen Lebens ist lebendige Gestaltung unseres Jetzt und Hier. Sie ist das Ich und das Wir. Sie ist das Ganze und das Geteilte. Sie ist groß und klein. Die Geschichten unseres Lebens sind wir selbst und daher sind sie es wert, gehört, gesehen, geschmeckt, gerochen und gefühlt zu werden. Sie zu beachten und zu achten, heißt sich selbst achten. Und mit dieser Achtung, Beachtung des eigenen Selbst, der Geschichte des eigenen Lebens. Und wo ist das aktuelle Geschehen lebendiger als im Atmen? Wir lernen durch das Beachten unserer eigenen Geschichte, auch das Andere, das Nächste mehr zu achten, denn es ist zu uns gehörig. Es ist das, was unsere Geschichte zu dem macht, was sie ist.

Die Geschichte unseres eigenen Selbst, auch eine Oryoki-Mahlzeit gehört dazu. Die Achtung der eigenen Geschichte des Selbst.

Das Be-achten des Selbst

Und genau das, das Be-achten dieses Selbst üben wir in der Zazen-Praxis. Und während des Sesshins, der Schweige-und Meditationswoche ist die Übung so groß, dass wir den Geschichten unseres Lebens in seinen tiefsten Tiefen begegnen können. Wir lassen die Geschichten in ihrer Lebendigkeit auferstehen, um sie dann in Frieden gehen zu lassen. Auf dieses Weise entsteht ein Raum, der frei ist für die neuen Geschichten, ohne dass alte Geschichten diesen neuen Raum „beschmutzen“.

Dies wünsche ich uns allen jetzt. Eine Achtung der eigenen Geschichte des eigenen Lebens, die eine Reinheit und Klarheit für eine neue Geschichte hinterlässt für ein gutes Leben.

Gassho

Eure Ellen Daoren

2 Kommentare

  1. Liebe Ellen,
    herzlichen Dank für diesen schönen SonntagsBlog. Ein spannendes Thema, welches mich ermutigt, noch ungeschminkter die eigene Geschichte zu erzählen. Allein der letzte Absatz mit Deinem Wunsch berührt mich sehr.

    Herzliche Grüße, Andreas.
    🙏🏻☺️

  2. Auf ein gutes Leben 🌞

    Wie immer tausend Dank von ganzem Herzen und ein tiefes Gassho, für diese vielen Schätze, die Du uns schenkst 🙏

    In Verbundenheit, Marco 🌻

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