SonntagsBlog „Die Wahrnehmung eines Duftes“, 1. Juni 2025
Liebe ZenhoflerInnen,
kaum zu glauben. Wir gehen im Riesenschritten auf den längsten hellen Tag in unseren Breiten zu, der gleichzeitig Sommeranfang ist. Wir sind im Juni angekommen. Ein halbes Jahr verneigt sich vor uns und wir vor ihm.

Gedanken an die Zukunft kennen wir alle. Schaffen wir den Umzug bis dahin? Wie wird der Urlaub wohl sein? Ob die Geburt gut geht? Wird die Hochzeit ein schönes Fest? Ist die neue Arbeitsstelle wirklich das Richtige für mich? Wann kann das alte Leben in Ruhe sich verabschieden? Wir sehen in die Zukunft und oftmals vergessen wir genau den Punkt, an dem wir gerade stehen, sitzen, liegen und ….
Zazen – der Anfang!
Wenn ich zu Beginn von Zazen sage: Lasst uns vergessen, wo wir hergekommen sind und wo wir hingehen, dann sage ich das nicht einfach nur so. Es ist eine Erinnerung, dass jetzt Moment für Moment ein Augenblick entsteht. Vor ein paar Tagen sprach ich mit Marcel wegen des Besuchs am Sonntag, den 22. Juni bei ihm in der Nähe von Ansbach. Wir kamen auf die Meditation zu sprechen. Sie ist nicht einfach nur eine Sitz-Meditation, sondern sie ist Zazen und das ist „alles sitzt“. Was heißt das? In dem Moment, wo wir die Vergangenheit und die Zukunft, sogar die Gegenwart vergessen, kommen wir in diesem einen Atemzug an. Nicht nur Atemzug, sondern in jedem Einatmen und jedem Ausatmen. Und schauen wir genau hin, dann bemerken wir, dass tatsächlich jedes Einatmen und Ausatmen anders ist.

Der wirkliche Augen-Blick
Dieses Bemerken ist die Übung, denn sie hält uns nicht nur wach für den Augenblick, sondern sie lehrt uns noch etwas, nämlich in der Veränderung hier zu bleiben und eben nicht in eine Vergangenheit oder Zukunft abzudriften.
Denn wir leben immer nur genau jetzt und genau hier. So unvorstellbar das sein mag, aber es ist so. Und Zazen ist für mich die schönste und größte Übung, in der ich das lernen darf.
Und mit diesem Übungsfeld gehe ich in meinen Alltag. Jetzt können wir die Augenblicke wach sehen. Wir können die beständigen Veränderungen bemerken und bemerken, dass nichts, wirklich nichts passiert. Wir brauchen uns vor nichts fürchten, denn es ist ja schon längst geschehen.

Das Einzige, was wir tun, ist Augen-Blick für Augen-Blick so wach sein wie möglich und dann bemerken wir durch unsere Sinne/ die fünf Skandhas, dass tatsächliche diese Wahrnehmungsfelder augenblicklich leer sind. Wären sie es nicht, wie könnte sich dann etwas in eine Form bringen? Denn dann wäre eine Form, eine Gestalt vorhersagbar, das ist sie aber nicht.
Manchmal ahnen wir einen Moment. Manchmal wissen wir sogar, dass genau dieser Moment, so wie er ist, genau so richtig ist. Doch in der Regel gehen wir an dem, was wir bemerken könnten vorbei. Und ich meine hier nicht irgendwelche großen Dinge. Sondern eher die Kleinen, wie heute Morgen beim Frühstück. Manfred hatte leckere frische Brötchen gebacken. Den Teig hatte er gestern Abend angesetzt und heute Morgen wurde gebacken. Als ich aufstand lag der Duft von frisch gebackenen Brötchen im ganzen Haus. Mmmmmm.

Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Kann ich Duft fotografieren? Kann ich Geschmack fotografieren? Kann ich ein Gefühl fotografieren?
Die Kenner der Filmszene sagen bestimmt jetzt ja. Ein berühmter Koch sagt bestimmt ebenfalls ja. Doch nehmen wir dieses ja einmal unter die Lupe, unter die Bemerkenslupe.
Was sehen wir wirklich in einem Film, in einem Kochbuch, in einem Atlas mit erotischen Bildern? (Denke hier gerade an den Film „Kalender girls“) Übrigens basierend auf einer wahren Geschichte!
Riechen wir wirklich den Duft von Lavendel, wenn wir den Film „Birnenkuchen mit Lavendel“ sehen? Riechen wir wirklich den Raps auf den Feldern, wenn wir einen Münsteraner Krimi sehen? Können wir einen Duft fotografieren, so, dass wir ihn wirklich riechen können?
Jetzt tun!
Nein, das können wir nicht. Die Bild-Industrie/Internet/Tablett und Co kann sich noch sehr anstrengen, wir können den Duft nur riechen, die Haut des Anderen nur fühlen, den Geschmack auf unserer Zunge schmecken, wenn wir es genau jetzt tun.
Es gibt kein nachher, später, morgen, übermorgen und das war vorgestern. Es gibt den Duft hier, den Geschmack hier, das Ohr hier. Die Wahrnehmungskanäle sind immer genau hier. Genau hier in unserem tuenden Sein. Die Hand, die über die Hand streichelt. Die Zunge, die den Honig schleckt. Die Nase, die sich in den Rosenduft verliert. Das tue ich gerade, denn meine Rosen blühen und duften um die Wette und das erste Rosengelee ist in Gläsern.

Die Leerheit und die Form
Wäre nur ein einziger Moment nicht leer, so könnte er nicht zu dem werden, was er ist. Der Augenblick ist immer frei, ganz frei und erst durch uns wird er sichtbar, fühlbar, schmeckbar, riechbar, hörbar und denkbar. Daher sind die fünf Skandhas leer und die Form ist wirklich Leerheit und Leerheit wirklich Form.
Wenn es uns nun für einen einzigen Augenblick gelingt durch das mit Freude anhaltende Übungswerk Zazen, die fünf Skandhas leer vom eigenen Sein zu erfahren, dann sind wir angekommen. Angekommen in dem Augenblick, genau diesem Einen, der so ist wie er ist – wunderbar – im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist ein Wunder. Und Dōgen sagt ganz klar, dass jeder Mensch dieses Wunder bereits ist.
Also brauchen wir nichts Anderes tun als zu lernen, es zu sehen. Und genau das macht Zazen mit dem Zählen der Atemzüge, mit einem Koan, mit einem leeren Geist – wir lernen beobachten, bemerken das Ungewohnte, Sehen schließlich das Unbekannte.
Und was ist das? Das sind wir selbst. Ein Wunder! Und genau dafür lohnt es sich!
Eine gute Zeit uns allen.
Ein von Herzen kommendes Gassho.
Auf unser eigenes Wunder
Ellen Daoren
Liebe Ellen,
danke für deinen Text.
Es hat mich ganz stark erinnert, dass die Kinder doch in dieser Zeitlosigkeit leben – keine Zukunft, keine Vergangenheit, keine Gegenwart.
Und dass man auch deswegen als Erwachsener so gut aufpassen muss. Vor lauter eingebunden Sein merkt man dann vielleicht gar nicht, wovon das Kind lebt und was sie oder ihn beschäftigt.
Stattdessen haben wir dann alle Burnout und müssen irgendwo hin fliegen – das was gerade aber los ist bemerken wir gar nicht.
annika
Liebe Ellen,
herzlichen Dank für deinen großartigen Impuls. Diesen habe ich mir nach meinem unschönen Zahnarztbesuch aufmerksam und in voller Präsenz durchgelesen. Er hat mich zentriert, getragen, inspiriert, genährt, getröstet und vieles mehr. Ein ganz großen Dank von Herzen für dein Wirken! ❤️🙏🏻
Ich hatte danach auch gleich einen Kommentar geschrieben, aber er ist irgendwie nicht durchgekommen…
Herzliche Grüße aus dem ruhigen Garten und in tiefer Verbundenheit, Andreas. 🙏🏻☺️
Lieber Andreas, herzlichen Dank. Ich freue mich sehr über Deine Worte,
denn manchmal zweifle ich ja auch.
Uns allen alles Gute Ellen