Die Peinlichkeit der Gelassenheit?

SonntagsBlog „Die Peinlichkeit der Gelassenheit?“, 19. Januar 2025

Liebe ZenhoflerInnen,

Der Sonntag begrüßt uns mit Sonnenschein und wärmender Wintersonne. Ein blauer Himmel und ein gelbroter Mond wechseln sich ab, aber beides nimmt mit Gelassenheit die Wolken, den Regen, den Nebel, die Schatten, den Sturm, den Wüstensand, den Eisregen und was es sonst noch alles gibt, hin.

Gelassenheit

Wir können von ihnen lernen, wie wir Gelassenheit lebendig werden lassen können. Keine Gelassenheit, die aufgesetzt ist oder ein „es ist egal Gefühl“ hinterlässt, sondern eine Gelassenheit, die sich in einem ZULASSEN ausdrückt. Ein Zulassen und einem So-wie-es-ist-Geschehen-lassen!

Das hört sich so einfach an, aber wie geht das? Wie sollen wir so etwas hinkriegen? Sobald eine Situation sich verändert, sind wir mit unseren Bewertungen hier, haben Vorstellungen, wie etwas zu sein hat, nehmen bekannte Handlungmuster auf, denn sie versprechen Sicherheit.

Ist das Sichere auch so zu entdecken?

Und zu guter Letzt die berühmte Frage: Was sollen die anderen von mir denken?

Eine Frage, die sicherlich viele aus ihrer Kindheit kennen. Was sollen die Nachbarn denken, wenn sie davon erfahren, dass mein Kind homosexuell ist? Was sollen die Lehrer denken, wenn sie sehen, dass mein Kind nicht mitkommt? Was sollen die Arbeitskollegen von mir denken, wenn ich danach frage, dann stelle ich ja meine Dummheit vor?  Was sollen meine Kinder von mir denken, wenn ich das jetzt nicht so und so tue, wie es allgemein gesagt und aufgefasst wird, denn sie müssen ja lernen in der Welt zurecht zu kommen?

Wie peinlich ist es uns, uns frei bewegt zu zeigen? Wann kommt die Scham um die Ecke? Wann empfinden wir es bis hin zur Pein? Was stoßen wir in uns an und warum bewerten wir es so ängstlich mit nicht gut?

Pein

An diesen Punkten berühren wir etwas, das Peinlichkeit genannt wird. In dem Wort Peinlichkeit steckt das Wort Pein. Was ist eine Pein? Eine Pein ist eine Mühseligkeit, etwas Quälendes, etwas schmerzlich Unangenehmes, in mittelalterlichen Zeiten stand es oft für die Folter. Das Wort ist merkwürdigerweise nicht eindeutig zuweisbar, wo es herkommt. Die ursprünglichste Bedeutung geht auf das Wort Fohlen zurück. Einfach ein kleines Pferd.

Wenn wir klein sind, eben wie ein Fohlen, schämen wir uns viel öfter wie als Erwachsener, denn wir fühlen uns gegenüber den scheinbar allwissenden großen Menschen irgendwie nicht klug genug. Wir wissen so vieles nicht. Und manchmal ist das so schlimm, dass dieses sich Schämen für ein angebliches Nicht-Wissen so groß ist, dass es uns zur Pein wird, denn wir ängstigen uns, dass uns die Zuneigung abhandenkommen könnte. Wenn wir dann größer geworden sind, haben wir, wie die meisten Erwachsenen eine Strategie, ein Muster gewoben, dass unser Nicht-Wissen verdeckt und so begegnen wir der Scham und der Pein der Scham immer seltener.

Doch, was tun wir hier? Sind deswegen Scham, Pein und die Frage: Was denken die anderen von mir? weg? Nein, das sind sie nicht. Wir haben sie zugedeckt. Fein säuberlich, denn Scham und Pein tun weh und weh tun, wollen wir uns nicht mehr. Wir sind jetzt auch Wissende und gelassen nehmen wir Kritiken an, denn wir wissen es ja insgeheim besser.

Auch hier wieder der Hinweis auf den wunderbaren Film „peaceful warrior“, der auch dieses Thema aufnimmt und klar Stellung zum Nicht-Wissen bezieht.

Wie sagt Christus in der Bibel: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder.

Die unbeschwerte Gelassenheit

Diese Gelassenheit ist jedoch nicht die gelassene Gelassenheit, die ein Zulassen, ein Geschehen-lassen Raum gibt. Diese an das „Ich weiß“ und ein „aber“ gekoppelte Denk-Haltung und Denk-Handlung verwischt gerade die Gelassenheit, die uns alle in die wirkliche „scham-lose und pein-freie“ Welt führt.

Wie viele Schamhaftigkeit geht uns durch den Kopf und verhindert eine Handlung, die aus voller Seele und dem Herzen spricht, genau hier, genau jetzt, ganz spontan? Wieviel Spontanität leben wir noch oder überlassen wir nichts mehr dem „Zu-Fall“, der die einfache Gelassenheit bereits kennt?

Wann haben wir das letzte Mal frei, einfach so, aus dem berühmten heiteren Himmel (schaut auf die Worte), getanzt, gesungen, sind wie spielende Kinder hin und her gehüpft, sind über einen Zaun geklettert, sind ins Wasser gefallen oder in den Schnee?

Immer und überall steht heut die Sicherheit im Vordergrund, die Sicherheit, die keine Pein mehr kennt, keine Scham und damit aber auch keine Gelassenheit.

Wenn wir uns wieder trauen lernen, uns zu schämen, uns in die Pein fallen zu lassen, dann entsteht die tiefe einfache Gelassenheit, das ZULASSEN ganz von selbst. Im Zazen geschieht dies übrigens auch von ganz allein. Wir sitzen einfach, auch wenn vor lauter Pein der Rücken schmerzt, die Beine einschlafen, der Nacken hart wird und vor Pein die Seele beginnt zu schreien und zu weinen. Wir atmen einfach weiter – ganz einfach zulassend – atmen wir weiter und beobachten diese Pein.

Wenn wir uns dann noch trauen von der Pein, die uns marterte zu erzählen, dann überwinden wir diese Scham und begegnen dem echten freien Scham-losen, nicht dem Schamlosen einer gewalttätigen Welt, sondern dem freien Scham-losen, das die Gelassenheit schon lange kennt.

Zazen kann uns das lehren, wenn wir es ZU LASSEN. Zazen kann uns helfen, diese freie Form der scham-losen und pein-freien Gelassenheit zu entdecken, die oft Intuition genannt wird.

Lasst uns gemeinsam weiter daran üben, denn in einer Welt, die keine Gelassenheit mehr kennt, in einer Welt, in der das Sicherheitsgefühl überhandnimmt, in einer Welt, in der Schamhaftigkeit in alter Manier aufersteht, in dieser Welt hilft das Lernen des freien echten Scham-losen, das der Pein entwachsen ist und frei in Haltung und Handlung daherkommt.

Wann beginnt in unserer Kindheit bereits das Ende der Kindheit? Wann schämen wir uns nicht mehr? Wann weichen wir der Pein aus? Wann verlieren wir die kindlich einfache Gelassenheit?

Ein freier Geist in einem freien Körper führt zu freier Haltung und freier Handlung. Und Zazen ist genau das. Moment für Moment.

Ich freue mich darauf einfach mit euch weiter zu üben. Ich danke Euch allen, die ihr mutig vorwärtsgeht.

Herzlich und mit Gassho

Ellen Daoren

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