Sonntags-Blog „Der Fluss und das Fließen“, 23. Febr. 2025
Liebe ZenhoflerInnen,
die winterliche Kälte ist vorüber und hat einer frühlingsrufenden Luft Platz gemacht. Die Winterlinge strahlen mit der Sonne um die Wette. Die Schneeglöckchen wiegen sich im noch kalten Winterwind. Die kleinen Krokusse ragen zart und vorsichtig ihre Köpfe dem Leben entgegen.

Und wir sind wieder mittendrin im Geschehen. Als ich jetzt an der Itz spazieren ging, fiel mir wieder einmal auf, wie schön das Wasser über die Steine gurgelt und dann ausläuft in die Ruhe. Und natürlich ging mir Zazen durch den Kopf.
Als ich letztes Jahr im Zen-Kloster Noorder Poort war, sagte die junge Zen-Nonne Yuko, dass es manchmal so langweilig auf dem Kissen wäre und was sie dann tun solle?
Eine lange Weile
In unserer Sprache gibt es das schöne Wort „eine lange Weile“. Früher wurde es viel mehr verwendet als heute. Es besagt nichts anderes, als das da etwas ist, was eine Weile dauert. Eine Dauer hat. Das ist wie beim Fluss. Wir sehen, dass der Fluss an einigen Stellen ganz träge und langsam dahinfließt, so, dass wir meinen könnten, es bewege sich garnichts und doch sehen wir ein Stückchen weitergehend, wie das Wasser plötzlich über hervorstehende Steine holpert, gurgelt und rauscht. Derartige Stellen mögen wir. Wir stehen auch gerne vor einem Wasserfall, der so laut sein kann, dass wir uns nicht einmal mehr hören können.

Doch in unserem Alltag lehnen wir oftmals diese Wasserfälle, das Stolpern, Rumoren und Gurgeln ab, dann sehnen wir uns nach dem ruhigen Fließen unserer Arbeit, der Familie, dem Alltag, dem Urlaub, die Ferien, das Wochenende und vieles mehr. Und wenn wir uns langweilen, dann haben wir Laptop, Tablet, Handy und Computer, Kino, Theater und Konzerte. So erschaffen wir selber Wasserfälle, die wir dort in einem scheinbar anderen Zusammenhang ablehnen. Wir rumoren selber herum. Wir stolpern selber in die Bilderfluten und meinen, so ist alles in Ordnung.

Das Fehlende taucht auf
Doch, irgendwo in unserem tiefsten Bewusstsein, wenn wirklich einmal alles ganz still ist für einige Sekunden, dann merken wir, dass dennoch irgendetwas nicht stimmig ist. Das Stolpern, Rumoren, die Wasserfälle, denen fehlt etwas.
Der alltägliche Fluss und sein Fließen stolpern durch uns selbst immer mehr in dieses Müssen. Wir müssen Sport machen, denn wir sitzen zu viel. Wir müssen uns gesund ernähren, möglichst vegan, denn sonst werden wir krank. Wir müssen Kenntnisse über die Länder der Erde haben, denn sonst sind wir dumm und können nicht mitreden. Wir müssen pünktlich auf der Arbeit sein, die Kinder in der Schule, das Kleinkind im Kindergarten. „Denken Sie daran, Ihr Kind bis neun Uhr gebracht zu haben.“
Wir müssen!
Wir müssen. Niemand von uns fragt mehr, was macht das mit mir, mit uns, mit dem Kind, mit dem Bruder, der Schwester, der Oma, dem Opa, der Nachbarin, dem Kollegen, der Kollegin?
Wir bleiben in diesem rauschenden Fluss. Doch der Fluss Itz ist schlauer als wir alle. Er windet sich einmal nach rechts, einmal nach links. Ausgleich! Manchmal fließt er ganz ruhig und langsam und dann stürzt er sich über Abhänge. Er ist im Ausgleich, denn er wechselt die Phasen und dazu nutzt er seine Art der Bewegung.

Das Verdursten. Das Ertrinken. Das Austrocknen.
Wir dagegen laufen und laufen und laufen. Höher. Weiter. Länger. Tiefer. Breiter. Besser. Wir bemerken nicht, dass wir den Fluss nicht nur zum Stillstand bringen, sondern dass wir ihn austrocknen. Wir trocknen uns selber aus.
Das Ausgleichen ist die Kunst. Wie kann es gelingen? Es gibt heute so viele Angebote von „Finden sie zu sich selbst zurück“, „Seien sie mal wieder ganz still“, „Lauschen sie den beruhigenden Tönen und sie schlafen gut“, „Werden sie sich ihrer bewusst, indem sie sich gesund ernähren“, „Bringen sie ihr Herz-Kreislauf-System mit Yoga in Schwung“ und und und.
Doch, was passiert hier? Wenn ich all dies tue und dennoch wach im Bett liege? Wenn ich mich gesund ernähre, mich sportlich betätige und auf gute freundschaftliche Umgebungen im kollegialen Umfeld achte und dennoch nicht zur Ruhe finde?
Wenn all diese Angebote nur weiter im reißenden Fluss fließen, kann keine Ruhe entstehen. Dann ist es nur noch ein Termin von vielen unter der Woche.
Das Ausgleichen, der langsame und ruhig dahinfließende Fluss ist der Ausgleich zum Wasserfall. Alle, die einmal an einem Wasserfall waren, sahen wie er in die Ruhe fließt.

Keine Bewegung mehr!
Dieses Aus-gleichen findet nur dann statt, wenn wir den „normalen rumorenden Fluss“ wirklich ruhen lassen. Keine Bewegung mehr. Keine Terminierung im Sinne eines Müssens, sondern in einem inneren Wissen, dass jetzt der ruhige Abschnitt des Flusses kommt.
Das Lang-weilige! Die lange Weile des ruhigen Dahinfließens. Eine Weile nur mit uns allein verbunden. Mit dem Atem. Mit dem Körper. Mit dem Geist. Den Gedanken zuschauen. Dem Körper zuschauen. Einfach nur so dahinfließen ohne irgendein Tun. Einfach nur Bemerken, was alles da ist und wie es da ist. Einfach die gewohnten Dinge in einem anderen Licht sehen. Denn, das, was ich da sehe, bin ja ich selbst, sonst niemand. Das ist mein Fluss, in dem das Herz kräftig schlägt. Das ist mein Fuß, der einschläft. Das ist mein Gedanke, der mir zufliegt.
Das JETZT
Im stillen ruhigen Sitzen treffen wir uns selbst, den Flussabschnitt, der noch nichts vom Wasserfall ahnt, der nicht weiß, dass das gurgelnde über die Steine hüpfen gerade noch war.

Im stillen dahinfließenden Fluss des Atems fließen wir langsam dem Ausgleichen zu und wir stehen auf und gehen damit in das Geschehen, egal, ob es ein Rumoren, Gurgeln oder der Sturz in den Wasserfall ist. Wir nehmen dieses stillen Fluss überall mit hin und das können wir lernen. Und wenn wir uns diese lange Weile des „Nichts-Tun“ zu-mut-en, uns erlauben es zu tun, gelangen wir von ganz allein langsam mit diesem unseren eigenen Fluss in genau unsere Windungen, die uns tragen. Über und durch alle Hindernisse hindurch. Einfach so.
Und dies wünsche ich uns allen. Tut es einfach immer wieder und seht selber.
Herzliche Grüße
Ellen Daoren